Bindung und Sucht
bereits im Bereich der Mentalisierungsbasierten Therapie (MBT; Allen & Fonagy 2009; Allen, Fonagy & Bateman 2011), der derzeit bekanntesten bindungsbasierten Form der Psychotherapie. Auch dieser Ansatz wird im Suchtbereich meines Wissens nach noch gar nicht genutzt. Ich halte ihn aber gerade hier für sehr vielversprechend. Substanzmissbrauch lässt sich plausibel als »Mentalisierungsbremse« beschreiben. Er dient nicht nur zur Vermeidung unangenehmer Affekte, sondern auch zur Abwehr negativer Kognitionen und Gedächtnisinhalte, z. B. traumatischer Art. Diese fluten bei Erreichen von Abstinenz wieder an, ohne dass Bewältigungsmöglichkeiten dafür zur Verfügung stünden. Die Fähigkeit zur Mentalisierung setzt dabei nicht nur Abstinenz voraus, sondern auch subjektive Sicherheit. MBT im Suchtbereich würde sich also immer entlang der Frage bewegen, wie sich genügend Sicherheit herstellen lässt, um abgewehrte Gedächtnisinhalte wieder wahrnehmbar, mentalisierbar und bewältigungsfähig werden zu lassen. Es ist eine vielversprechende Zukunftsaufgabe, diese therapeutischen Ansätze für den Suchtbereich auszuformulieren und nutzbar zu machen.
Fazit
Ich möchte nun zu der Frage zurückkommen, ob sich Sucht als Bindungsstörung verstehen lässt. Diese lässt sich mit »Ja« beantworten: Substanzmissbrauch kann (auch) ein Bewältigungsversuch von Bindungsunsicherheit sein. Nach bisherigem, lückenhaftem Wissensstand ist die bindungstheoretische Perspektive vor allem bei Opiatabhängigen und bei Adoleszenten von besonderer Bedeutung.
Auch die Frage, ob Bindung eine Suchtstörung ist, muss für eine Vielzahl von Spezies mit »Ja« beantwortet werden. Bindung scheint eine Sucht zu sein, von der nur Suppenschildkröten frei sind. Bei allen anderen kann das Bindungsbedürfnis von Suchtmitteln in Geiselhaft genommen werden.
Literatur
Adam, K. S., Keller, A., West, M., Larose, S. & Goszer, L. B. (1994): Parental representation in suicidal adolescents: A controlled study. Australian and New Zealand Journal of Psychiatry, 28, S. 418 – 425.
Allen, J. G. & Fonagy, P. (2009): Mentalisierungsgestützte Therapie. Das MBT-Handbuch – Konzepte und Praxis . Stuttgart (Klett-Cotta).
Allen, J. G., Fonagy, P. & Bateman, A. W. (2011): Mentalisieren in der therapeutischen Praxis . Stuttgart (Klett-Cotta).
Allen, J. P., Hauser, S. T. & Borman-Spurell, E. (1996): Attachment theory as a framework for understanding sequelae of severe adolescent psychopathology: An 11-year follow-up study. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 64 (2), S. 254 – 263.
Amann, U. (2009): Bindungsrepräsentationen suchtmittelabhängiger Jugendlicher und ihrer Eltern . Norderstedt (GRIN-Verlag).
Armsden, G. & Greenberg, M. (1987): The inventory of parent and peer attachment: Individual differences and their relationship to psychological well-being in adolescence. Journal of Youth and Adolescence, 16, S. 427 – 455.
Bartholomew, K. & Horowitz, L. M. (1991): Attachment styles among young Adults: A test of a four-category model. Journal of Personality and Social Psychology, 61 (2), S. 226 – 244.
Byng-Hall, J. (1999): Family and couple therapy: Toward greater security. In: J. Cassidy & P. R. Shaver (Hrsg.), Handbook of attachment. New York (Guilford Press), S. 625 – 645.
Cobb, C. H. (1996): Adolescent-parent attachments and family problem-solving styles. Family Process, 35, S. 57 – 82.
Cooper, M. L., Shaver, P. R. & Collins, N. L. (1998): Attachment styles, emotion regulation and adjustment in adolescence. Journal of Personality and Social Psychology, 74 (5), S. 1380 – 1397.
Diamond, G. M., Diamond, G. S. & Hogue, A. (2007): Attachment-based family therapy: Adherence and differentiation. Journal of Marital & Family Therapy, 33, S. 177 – 191.
Doll, J., Mentz, M. & Witte, E. H. (1995): Zur Theorie der vier Bindungsstile: Meßprobleme und Korrelate dreier integrierter Verhaltenssysteme. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 1995, S. 148 – 159.
Finger, B. (2006): Exploring the intergenerational transmission of attachment disorganization . Dissertation, University of Chicago.
Finzi-Dottan, R., Cohen, O., Iwaniec, D., Sapir, Y. & Weizman, A. (2003): The druguser husband and his wife: Attachment styles, family cohesion and adaptability. Substance Use and Misuse, 38 (2), S. 271 – 292.
Fonagy, P., Leigh, T., Steele, M., Steele, H., Kennedy, R., Mattoon, G., Target, M. & Gerber, A. (1996): The relation of attachment status, psychiatric
Weitere Kostenlose Bücher