Bindung und Sucht
dienen – greifen neurobiologisch ein; sie wirken auf das ANS ein und führen im Sympathikus wie im Parasympathikus zu einer Reduktion der Erregung, die der ähnelt, die durch eine liebevolle Berührung oder dadurch, dass eine Bindungsperson das Kind auf den Arm nimmt, hervorgerufen wird. Hat der Säugling erst einmal diese Erfahrung der Beruhigung durch ein Suchtmittel gemacht, kommt es sehr schnell zu einem Lernprozess, so dass er immer dann, wenn keine Bindungsperson zur Koreguation zur Verfügung steht, auf das Suchtmittel zurückgreifen möchte. Bei Säuglingen erfolgt besonders gerne die Beruhigung durch Nahrungsaufnahme. Es gibt Mütter, die jede stressvolle Äußerung, jedes Weinen ihres Säuglings mit Stillen beantworten. Weint der Säugling aber, weil er Angst erlebt, wäre es eine adäquate Reaktion, ihn auf den Arm zu nehmen und mit Körperkontakt zu trösten; Stillen dagegen wäre nicht notwendig.
Von scheinbarem Vorteil ist, dass das Suchtmittel für ältere Kinder und Jugendliche meistens mehr oder weniger leicht verfügbar ist, unabhängig von anderen beschafft werden kann und damit auch eine gewisse Unabhängigkeit von Bindungspersonen erreicht wird. Hat sich erst einmal im Suchtgedächtnis abgebildet, dass bei Stress und Belastung, die nicht tolerierbar sind, der Rückgriff auf ein Suchtmittel Entlastung schafft, und kommt durch Letzteres auch noch eine körperliche Abhängigkeit hinzu, ist der so entstandene Teufelskreis aus dem Verlangen nach Bindung und Sucht kaum mehr zu durchbrechen.
»Klassischerweise« beginnen solche Suchtverhaltensweisen dann, wenn das Bindungssystem von Menschen in stressvollen Situationen massiv aktiviert wurde:
etwa nach Trennungserfahrungen,
nachdem man in der Beziehung mit einem anderen Menschen verlassen wurde,
in Situationen von großer Einsamkeit,
in Angstsituationen,
nach traumatischen Erfahrungen,
wenn Beziehungserfahrungen chronisch stressvoll sind,
in Situationen, die eine Person überfordern und somit für großen Stress sorgen, etwa wenn sich jemand sehr alleingelassen, hilflos und sogar vom Tod bedroht fühlt,
bei extrem intensiv erlebten Affekten, bei denen keine Affektsteuerung mehr möglich ist, so dass die Affekte überborden und den Betroffenen in Alltagserfahrungen und Handlungen so weit einschränken, sogar lähmen, dass ein normales Leben nicht mehr möglich ist.
Immer ist im Hintergrund das Bindungsbedürfnis aktiviert, das nicht adäquat durch zumindest eine Bindungsperson beruhigt wird, so dass stattdessen zur Beruhigung auf ein Suchtmittel zurückgegriffen wird.
Wird das Suchtmittel abgesetzt, kommt es oft zu einem körperlichen Entzug, aber noch bedeutungsvoller ist der seelische Entzug, weil das »Bindungsperson-Surrogat«, das Suchtmittel, nach dem Entzug fehlt. Da die Bindungsperson aber für das Überleben wichtig ist, entstehen nach dem Entzug Symptome wie nach dem Verlust einer Bindungsperson. Es kommt zu einem extremen psychischen Schmerz und Gefühlen von Angst, Panik, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Todesbedrohung. Die evolutionäre Grunderfahrung ist, dass man als Mensch ohne Bindungsperson nicht überleben kann; aus diesem Grunde kämpft der Süchtige nach dem Entzug auch um das Suchtmittel, als wenn es um Leben und Tod ginge. Ein Süchtiger hat die Empfindung, ohne sein »Bindungsperson-Surrogat«, das Suchtmittel, überhaupt nicht überleben zu können – deshalb der extreme psychische Druck und das Gefühl existenzieller Bedrohung. Aus den Erfahrungen der Entzugsbehandlungen wissen wir, dass der psychische Prozess der Verarbeitung nach dem Entzug des Suchtmittels wesentlich länger, dramatischer und auch psychisch einschneidender ist als der rein körperliche Entzug bei stoffgebundenen Suchtstoffen. Hier setzt die notwendige Psychotherapie für die Suchtkranken an.
Grundlagen der bindungsorientierten Psychotherapie von Suchtkranken
In der Therapie von Suchterkrankungen sind wir oft damit konfrontiert, dass der Süchtige kein sicheres Bindungssystem mitbringt, stattdessen Traumatisierungserfahrungen gemacht hat, die er nicht verarbeiten konnte. Der damit verbundene Stress wurde von ihm durch Suchtverhalten in gewisser Weise pseudo-koreguliert, weil ihm keine Bindungsperson hilfreich zur Seite stand. Im Laufe der Zeit wird diese Trias von Bindung, Trauma und Sucht meist durch viele weiterepsychosoziale Probleme überlagert, so dass diese oft im Vordergrund stehen, wie etwa Kriminalität, das Scheitern einer Beziehung und der
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