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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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Deutschen als »inneres [auch: internales] Arbeitsmodell« eingeführt, ist ein repräsentatives Modell der Internalisierung, das sehr weitgehend mit Piagets (1974) Theorie der Repräsentation zusammenfällt und auch gewisse Gemeinsamkeiten mit den internalisierten Selbst- und Objektrepräsentationen hat, wie sie von der Objektbeziehungstheorie beschrieben werden. Von seinem Ansatz her ist das innere Arbeitsmodell allerdings noch eher mit der Theorie der Intersubjektivität (Stolorow et al. 1987) vereinbar, weil es den Akzent stärker auf die Frage legt, wie das interpersonale Feld durch die beiden in einer Beziehung zueinander stehenden Individuen zustande kommt.
    »Vertrauen in die Antwortbereitschaft einer Bindungsfigur, abgesehen von ihrer Zugänglichkeit, hängt zumindest von zwei Variablen ab: a) davon, ob die Bindungsfigur für die Art von Person gehalten wird, die im Allgemeinen auf Bitten um Hilfe und Schutz reagiert [. . .], und b) davon, ob das Selbst für die Art von Person gehalten wird, auf die irgendjemand, insbesondere die Bindungsfigur, in hilfreicher Weise reagiert. Diese beiden Variablen sind logischerweise voneinander unabhängig. In der Praxis werden sie jedoch leicht miteinander verwechselt. Als Folge davon entwickeln sich das Modell von der Bindungsfigur und das Modell vom Selbst unter Umständen so, dass sie einander ergänzen und sich gegenseitig bestärken« (Bowlby 1976, S. 249).
    Von entscheidender Bedeutung dafür, wie das innere Arbeitsmodell ausfällt, ist die emotionale Zugänglichkeit der Bezugsperson. Wie die Eltern dem Kind gegenüber »sind«, das ist nach Kohut wichtiger als das, was die Eltern tun. Stern (1998) vertritt eine sehr ähnliche Ansicht; er glaubt, dass es das Wesen der Beziehung ist – »das Erleben des Zusammenseins« –, das internalisiert wird, nicht einfach die Objekt- oder Selbstrepräsentationen. Nach Marrone (1998) definierte Bowlby Internalisierung als etwas, »das weder ganz und gar draußen gewesen noch ganz und gar drinnen ist […], was in der Psyche der Person repräsentiert wird, ist die Beziehung und nicht die Mutter als separate Entität« (S. 44). Sehr ähnlich der klassischen Aussage Winnicotts, dass es »so etwas wie eben nur ein Baby« nicht gebe, steht das innere Arbeitsmodell für den Gedanken, dass die primäre Einheit des Seins nicht die Selbst- und die Objektrepräsentation ist, sondern die Beziehung und die Regeln, die diese Beziehung lenken. Auf der Basis wiederholter Erfahrungen lernt das kleine Kind, was es von der Mutter erwarten kann. Die Regeln, die diese Erwartungen steuern, werden zusammen mit mentalenRepräsentationen internalisiert und lenken Gedanken, Gefühle und Verhalten der Person in späteren engen Beziehungen. Die impliziten Regeln bezüglich der Frage, »wie ich sein muss, um mit dir in Verbindung zu bleiben«, definieren die Struktur des inneren Arbeitsmodells und werden zum bestimmenden Faktor, der die repetitive Natur der Beziehung schürt.
    Ein klinisches Beispiel: Dan, 38 Jahre alt und nach seinen eigenen Worten früher kokainabhängig und sexbesessen, war seit nahezu drei Jahren »clean« und bei einer Therapeutin in Behandlung. Übertragungsprobleme erwiesen sich als schwierig durchzuarbeiten, aber mit der Zeit war es Dan immer besser gelungen, die Regeln zu verändern, die seine Beziehungen zu Frauen lenkten. Seine Abstinenz und eine hinreichend gute »haltende« Umgebung machten es ihm schließlich möglich zu begreifen, was hinter seinem Suchtverhalten gestanden hatte. Zehn Minuten nach Beginn der hier interessierenden Sitzung bei seiner Therapeutin machte Dan sich daran, mit ungewöhnlicher Klarheit das Klima in seiner Herkunftsfamilie darzulegen, das mit der Zeit sein Innenleben bestimmt hatte.
    »Ich glaube, ich habe Ihnen nicht alles erzählt, was man über meine Familie wissen muss. Ich habe Ihnen nur die Oberfläche geschildert. Sie wissen nicht, was der wahre Grund ist, weshalb ich meinen Vater nie besuche, meinen Schwestern aus dem Weg gehe und meiner Mutter aus dem Weg ging, solange sie lebte.«
    Die Therapeutin nickt zustimmend, und Dan fuhr fort: »Ich habe Ihnen nie erzählt, warum wir aus Indiana weggehen und zu meiner Großmutter nach Ohio ziehen mussten, als ich neun Jahre alt war.«
    Die Therapeutin beobachtete Dan ruhig und aufmerksam, während er weitersprach. Er wisse, sagte er, dass sie, die Therapeutin, alle Frauen repräsentiere, die in seinem Leben jemals Macht über ihn ausgeübt hatten.

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