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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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Umfeld (Beseitigung stress-induzierender Reize, Angebot einer sicheren Bindung etc.) die neurologischen und biochemischen Prozesse des Individuums verändern.
    1.) Bindung ist eine elementare und eigenständige Motivation, die sich nicht auf einen Sekundärtrieb reduzieren lässt. Wie die Selbstpsychologie kann auch die Bindungstheorie als Spross der Objektbeziehungstheorie betrachtet werden. Alle dreiTheorien weisen wesentliche Gemeinsamkeiten auf, differieren aber in ihrer Loyalität gegenüber der klassischen Triebtheorie. Der entscheidende Faktor, durch den die Bindungstheorie sich insoweit von den beiden anderen Theorien unterscheidet, ist der merklich andere Stellenwert, den sie dem Bindungsthema beimisst: Die Bindungstheorie vertritt unbeirrt den Gedanken, dass Bindung sich in ihrer Bedeutung und in ihren erfreulichen und schmerzlichen Aspekten nicht auf einen Sekundärtrieb reduzieren lässt. Bindung gilt vielmehr als eine primäre Motivationskraft mit einer eigenen Dynamik, die ihrerseits weitreichende und komplexe Folgewirkungen hat (Bowlby 1976).
    Bowlby erkannte, dass die natürliche Selektion Mechanismen begünstigt, die ihrerseits die Mutter- (Eltern-) Kind-Nähe in einer »Umwelt der evolutionären Anpassung« fördern. Bindung ist nicht nur ein psychisches Anliegen, sondern wird auch von einem starken biologischen Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe getragen. Eine primäre biologische Funktion von Bindung besteht darin, dass sie Unterstützung und Überleben auch angesichts widriger Ereignisse gewährleistet. Das gilt für alle gesellig lebenden Säugetiere und damit für die Eltern-Kind-Beziehungen auch in anderen Spezies, nicht nur bei den Menschen.
    2.) Tatsächliche, »realweltliche« Geschehnisse sind wichtiger als unbewusste Phantasien oder Triebregungen. Grundsätzliche Uneinigkeit besteht zwischen der Bindungstheorie und der klassischen psychodynamischen Theorie insoweit, als Bowlby sich nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, der Phantasie und den inneren Erfahrungen mehr Gewicht beizumessen als der Wirkung realweltlicher Ereignisse. Bowlby war keineswegs der Meinung, dass den inneren Erfahrungen der Vorrang vor der äußeren Realität zuzugestehen sei. Wie Foulkes (1978) kritisierte er eine Vorstellung von Therapie, der zufolge alle komplexen Phänomene allein auf intrapsychische Prozesse zurückzuführen seien. Bowlby machte sich daher an die Formulierung einer Theorie, die beobachtete Fakten besser, nämlich in einem engeren Zusammenhang mit dem zutage liegenden Verhalten, erklärte. Er unterstrich, dass eine Psychopathologie ihre Wurzeln in der realen Erfahrung des interpersonalen Lebens habe und dass die klassische Triebtheorie sich mit ihren Gedankenspielen allzu weit vorwage.
    Bowlby nahm auch die fundamentalen Lehrsätze der orthodoxen Psychoanalyse aufs Korn, deren dynamische und ökonomische Überlegungen in seinen Augen nicht vertretbar waren, weil sie auf dem Gedanken einer Energieabfuhr basierten, der sich seinerseits auf die veraltete Physik und Biologie des 19. Jahrhunderts berief. Wie Fairbairn (1952) sah auch Bowlby die klassische Freudsche Theorie als in einem anachronistischen Modell verwurzelt, hinter dem die Physikdes 19. Jahrhunderts stand. Er riet zu dem notwendigen und innovativen Schritt hin zu den modernen Entwicklungen in der Biologie, der Evolutionstheorie, der Ethologie, der Kybernetik und den Informationssystemen, um seine Position zu untermauern.
    Bowlby störte sich zudem an der Art, wie die psychoanalytische Literatur mit dem Wort »Objekt« umging. Er bevorzugte den Begriff Bindungsfigur (attachment figure), der seiner Ansicht nach die bipersonale Natur von Bindungsbeziehungen besser erfasste. Das Wort »Objekt« hatte, wie er meinte, zur Konnotation einer Vielzahl von Konzepten herhalten müssen und damit zu Ungenauigkeiten und voneinander abweichenden Deutungen geführt. Nach Marrone (1998) »hat das Wort ›Objekt‹ unterschiedliche Bedeutungen; es kann ein ›Ding‹ oder auch das ›Ziel‹ eines Triebs oder einer Absicht sein.« In der Bindungsfigur kam Fairbairns (1952) Gedanke, dass die primäre Motivationskraft aller gesellig lebenden Säuger die Suche nach Bindung ist, deutlicher zum Ausdruck. Bindungsfiguren erfüllen eine Funktion, die derjenigen von Kohuts Selbstobjekten ähnelt, denn Bindung kann, wie die Selbstobjektübertragung, in sich reparativ sein.
    3.) Das Ausmaß, zu dem ein Mensch die eigenen Emotionen steuern kann, bestimmt

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