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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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das Kind. Wenn Eltern (oder Therapeuten) ihre Kinder (oder Patienten) zur Befriedigung ihrer eigenen unerfüllten Bindungsbedürfnisse benutzen, führt das in die Psychopathologie . Karen Walant (1995) übt Kritik an der Überbewertung, die unsere Gesellschaft in Bezug auf Trennung und Individuation vornimmt, und macht geltend, dass dieses große Anliegen – Autonomie um jeden Preis – zu der irrigen Überzeugung beigetragen hat, wir könnten unsere Emotionen steuern.Die elterlichen bzw. mütterlichen Instinkte sind einer kulturellen Norm zum Opfer gefallen, die Abhängigkeit zu einem pathologischen Befund und emotionale Bedürftigkeit zu etwas gemacht hat, dessen man sich schämen muss. Walant, die den Drogenmissbrauch aus der Perspektive der Bindungstheorie betrachtet, sieht im Suchtverhalten einen Ersatz, den das Individuum sich zu eigen gemacht hat, um mit dem Trauma fertigzuwerden, dass frühe Bedürfnisse unerfüllt geblieben sind. Um den Wirkungen dessen zu begegnen, was sie als »normativen Missbrauch« bezeichnet, empfiehlt Walant, dass wir uns unseren Patienten anders nähern, nämlich in einer Weise, die eher auf Beziehung und Vertrautheit setzt. Das erlaubt es den drogen- und alkoholabhängigen Menschen, Teil von etwas zu werden, das größer, umfassender und befriedigender ist als ihre isolierte Existenz. Walant verweist auf die Notwendigkeit einer »Erfahrung des Eintauchens« – von Augenblicken des vollkommenen Verstehens zwischen Patient und Therapeut –, durch die es möglich wird, das entfremdete, abgeschnittene Selbst abzuschütteln.
    Die Bindungstheorie postuliert eine biologische »Verdrahtung« zwischen dem kleinen Kind und seinen Eltern, die es ihnen ermöglicht, enge emotionale Bindungen zueinander einzugehen. Diese Bindungen erfüllen wichtige emotionssteuernde Funktionen. In Tierstudien konnte gezeigt werden, dass eine sichere Bindung zu Veränderungen im biochemischen und im neurophysiologischen System führen kann (Lewis et al. 2000). Alle gesellig lebenden Säuger steuern wechselseitig ihre physiologischen Prozesse und modifizieren die Struktur des Nervensystems des jeweils Anderen durch den synchronen Austausch von Emotionen. Diese interaktive regulierende Beziehung ist die Ausgangsbasis für Bindung.
    Emotionen haben (beginnend mit Mutter und Kind) eine kommutative, also dem Austausch bzw. der Veränderung dienende Funktion. Das zentrale Nervensystem aller gesellig lebenden Säuger ist eine offene Schleife. Alle gesellig lebenden Säuger interagieren und verändern das neurophysiologische System des jeweils Anderen. Die Art und Weise dieser Einwirkung bildet die Grundlage von Bindung. Die Erinnerung daran ist in der so erfolgenden Veränderung aufbewahrt.
    7.) Tätige Zugewandtheit bzw. Fürsorge und die Bereitschaft zu affiliativen Beziehungen (Wechselseitigkeit) sind eigenständige Entwicklungsstufen, die erreicht sind, wenn das Selbst voll entwickelt, also zur Reife gelangt ist. Da Sucht sowohl eine Folge als auch die »Lösung« des Problems ist, dass es an befriedigenden Beziehungen fehlt, muss der Akzent notwendigerweise auf der Fähigkeit liegen, Bindungen zuanderen Menschen einzugehen, wenn die Behandlung erfolgreich sein soll. Reife steht für die Fähigkeit, sich selbst und die andere Person als eigenständige Individuen mit je eigenen Bedürfnissen und Wünschen zu sehen, als Personen, zu denen empathische reziproke Beziehungen eingegangen werden können, die nicht auf Forderungen, sondern auf Wechselseitigkeit beruhen. Wie die Beziehungstheorie (Jordan 1986) uns lehrt, wird Wechselseitigkeit bzw. werden affiliative Beziehungen zur entscheidenden Komponente der Entwicklung und Entfaltung des Individuums. Wechselseitigkeit stellt eine besondere Schwierigkeit für die meisten Drogenkonsumenten dar, die ja mit der »Empfehlung« aufgewachsen sind, Konkurrenz, Erfolg, Leistung, Individualität und Autonomie höher als Bindung zu bewerten. Das Erkunden von Vertrautheit und Wechselseitigkeit lässt ein Gespür sowohl für die Verantwortlichkeiten innerhalb einer Beziehung als auch dafür aufkommen, dass Beziehungen eine Quelle der Freude, aber auch der Enttäuschung sein können. Drogenabhängige müssen lernen, dass reife Beziehungen nicht einseitig durch nur eine Person bestimmt werden können, sondern durch einen interaktiven Prozess des wechselseitigen Übereinkommens und Einvernehmens zustande kommen müssen. Gewichtige Themen wie Dominanz und Unterordnung, Abhängigkeit

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