Bindung und Sucht
defensive Strategien einsetzen, um sein Überleben zu fördern (Bowlby 2010). Dazu zählen auf der einen Seite die Hyperaktivierung, die den Protest des Kindes verstärkt, und auf der anderen Seite, ihr sozusagen gegenüber, die Deaktivierung, die den Protest »herunterfährt« und dafür auf Eigenverantwortlichkeit setzt (Obegi & Berant 2009). Wenn solche protektiven Strategien regelmäßig eingesetzt werden, dann wird sich wahrscheinlich eine unsichere Bindung – als adaptive Form der Bewältigung einer inkonsequenten oder »unerreichbaren« fürsorgenden Umgebung – entwickeln.
Unsichere Bindung
Die Herausbildung einer sicheren Bindung ist ein Schutzfaktor für das sich entwickelnde kleine Kind, während eine unsichere Bindung mit negativen Folgen verbunden ist, die über die Kindheit und die Adoleszenz hinaus noch bis ins Erwachsenenalter reichen (Bowlby 2010; Cozolino 2006; Hudson-Allez 2009; Karen 1990; Kelley et al. 2004; Obegi & Berant 2009; Schore 2001; Siegel 2001, 2006; Sroufe 2005). Es gibt anhand der Erhebung mit unseren Instrumenten (s. weiter unten) drei Arten des unsicheren Bindungsmusters, die sich nach unserer Kenntnis entwickeln können: die präokkupierte (oder verstrickte), die abweisende und die desorganisierte Bindung. Ein präokkupiertes Bindungssystem, das mit Trennungen von der Bezugsperson und mit inkonsequenter Fürsorge und Pflege einhergeht, äußert sich in einem Verhalten, das von hoher Bedürftigkeit gekennzeichnet ist, also als Bemühen um beruhigenden Zuspruch, als Überempfindlichkeit, Angst, Aufmerksamkeitssuche und erhöhte Erregung (Ainsworth & Wittig 1969; Hudson-Allez 2009). Das »innere Arbeitsmodell« gibt der betroffenen Person das Gefühl, abhängig, nichts wert und nicht imstande zu sein, Trost und Zuspruch zu erlangen; die Bezugsperson wiederum wird als vernachlässigende, unberechenbare und unzuverlässige Person wahrgenommen, der es anFeinfühligkeit fehlt (Ainsworth & Wittig 1969; Hudson-Allez 2009). Dagegen ist ein abweisendes Bindungssystem mit einer abweisenden oder »unerreichbaren« Bezugsperson durch kognitive Abwehr gekennzeichnet, mit der das Bindungsbedürfnis geleugnet oder kleingeredet wird (Hudson-Allez 2009). Dem entsprechenden inneren Arbeitsmodell zufolge fühlt die Person sich ungeliebt, vertraut aber auf sich selbst und erkennt ihr Umfeld als abweisend oder aber zudringlich und als unfähig, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden (Hudson-Allez 2009).
Eine dritte Form des unsicheren Bindungsmusters wurde von Main und Solomon (1990) in die Diskussion eingeführt, die beobachteten, dass manche unsicher gebundenen kleinen Kinder sich weder dem präokkupierten noch dem abweisenden Bindungsmuster zuordnen ließen. Die präokkupierten oder abweisenden Varianten gelten als adaptive Verhaltensformen, die den Zugang zur Bezugsperson sichern sollen, wenn dies erforderlich ist; für manche kleinen Kinder ist aber keine dieser Strategien durchgängig erfolgreich, und damit kommt es zum desorganisierten Bindungsverhalten (Obegi & Berant 2009). Das desorganisierte gilt als das problematischste unter den unsicheren Bindungsmustern, weil es häufig mit nicht zu erwartenden Erfahrungen – mit Misshandlung, Vernachlässigung und Trauma – verknüpft ist, so dass die »sichere Basis« (die Bezugsperson) zugleich auch eine Quelle echter körperlicher oder emotionaler Bedrohung ist. Dieser Widerspruch führt insofern zu einem konfusen Verhalten, als dem ganz natürlichen Impuls, Trost und Beruhigung zu suchen, der ebenso natürliche Impuls entgegensteht, der Gefahr zu entkommen (Obegi & Berant 2009). Dabei kommt es häufig zu erhöhter Erregung und fehlgesteuertem Stress mit der Folge, dass das betroffene Kind zwischen einem ängstlichen und einem vermeidenden Bindungsverhalten schwankt (Obegi & Berant 2009). Es entwickelt ein internes Arbeitsmodell seiner selbst als ungeliebt und erfährt die Bezugsperson(en) als abweisend, bedrohlich und unberechenbar. Menschen mit desorganisierten Bindungen haben gelernt, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen können, weil »die anderen« gefährlich sind, und gehen damit nur eingeschränkte Bindungen zu anderen Menschen ein (Obegi &Berant 2009). Das kann im Fall eines Kindes, das von seinen Bezugspersonen vernachlässigt oder misshandelt wird, eine notwendige Überlebensstrategie sein, es wird aber dann kontraproduktiv, wenn es dem heranwachsenden Kind nicht gelingt, Vertrauen zu entwickeln und sich in sicheren Beziehungen
Weitere Kostenlose Bücher