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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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auf diesem Gebiet arbeiten, sind sich darin einig, dass die Ätiologie unkontrollierten Sexualverhaltens eine Vielzahl interagierender Faktoren umfasst, so die Genetik, die Physiologie, Umwelteinflüsse, Erfahrungen, die in der Herkunftsfamilie gemacht wurden (etwa vorsätzliche Misshandlung, unbeabsichtigte Traumatisierung einer Person als Kind), ferner Merkmale wie Impulsivität und Zwanghaftigkeit (Kaplan & Krueger 2010; Salisbury 2008; Seegers 2003; Shaffer et al. 2004). Bancroft & Vukadinovic (2004) bringen zudem den Gedanken ins Spiel, dass unterschiedliche ätiologische Faktoren an den verschiedenen Formen von unkontrolliertem Sexualverhalten beteiligt sein könnten, so etwa die Affektregulation, Hemmungsreaktionen, neurobiologische Faktoren, eine beeinträchtigte Selbstregulation (z. B. Selbstberuhigung durch Sex) und ein beschädigtes Motivations-Belohnungs-System (d. h., Orgasmus und sexuelle Lust verstärken unkontrolliertes Sexualverhalten).
    Eine weitere Hypothese aus jüngerer Zeit besagt, dass frühe Bindungserfahrungen negativer Art insofern relevant sein könnten, als sie die Basis für eine beeinträchtigteAffektregulation, für eine beeinträchtigte Selbststeuerung und für die interpersonalen und intrapersonalen Schwierigkeiten darstellen, die zu unkontrolliertem Sexualverhalten beitragen können (Cozolino 2006; Creeden 2004; Hudson-Allez 2009; Katehakis 2009). Die Bindungstheorie lehrt, dass interpersonale Fertigkeiten und Erwartungen sich im Rahmen der frühen Beziehungen zu Fürsorge- und Bezugspersonen entwickeln (Ainsworth & Wittig 1969; Bowlby 2006 a, b, 1976, 2009). Neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Längsschnittuntersuchungen legen den Gedanken nahe, dass die Qualität dieser frühen Erfahrungen sich in der Entwicklung des Gehirns, im lebenslänglichen Beziehungsverhalten und in der letztlich größeren oder geringeren Fähigkeit zur Intimität niederschlägt (Cozolino 2006; Hudson-Allez 2009; Katahakis 2009; Obegi & Berant 2009; Perry 2005; Schore 2001; Siegel 2001, 2006; Sroufe 2005). Diese Bereiche entwickeln sich augenscheinlich unterschiedlich, je nach dem Bindungsstil, der sich herausbildet; für die empirische Bestätigung dieser Feststellung bedarf es aber noch weiterer Forschungen. Eine sichere Bindung, verbunden mit einfühlsamer und konsequenter Versorgung und Betreuung, trägt nach verbreiteter Meinung zur Entstehung eines Intimitätspotentials bei, wie es für geglückte Beziehungen und ein lebensbereicherndes Sexualverhalten erforderlich ist (Obegi & Berant 2009). Im Gegensatz dazu, so heißt es, führen eine unsichere Bindung und die Erfahrung einer nicht abgestimmten und inkonsequenten Versorgung, verbunden mit Zurückweisung, Misshandlung oder Vernachlässigung, zu Defiziten in der Fähigkeit zur Intimität und folglich zu Beziehungen, denen es an Intimität fehlt, zu einem destruktiven Sexualverhalten und möglicherweise zu psychischen Schwierigkeiten (Creeden 2004; Sroufe 2005).
Die Bindungstheorie
    John Bowlby (1907 – 1990) entwickelte die Bindungstheorie (2006 a, b, 1976), um aufzuzeigen, dass und wie die Beziehungserfahrungen mit den Bindungsfiguren sich in der Persönlichkeitsentwicklung und in der interpersonalen Kapazität, aber auch in psychopathologischen Phänomenen niederschlagen. Die Bindungstheorie beschriebt, wie Kinder mit einem evolutionär gegebenen Verhalten geboren werden, das Bowlby als das System des Bindungsverhaltens bezeichnete. Dieses System wird in Zeiten von Belastung oder Trennung aktiv, es dient dem Schutz des kleinen Kindes, fördert sein Überleben und steht modellhaft für seine zukünftigen Beziehungen (Bowlby 2010). Über die Lebensspanne hinweg trägtein gut funktionierendes Bindungssystem dazu bei, einem Menschen in Zeiten von Stress, Verlust oder Bedrohung den Trost und den Zuspruch der Mitmenschen zuteil werden zu lassen (Cassidy 2001). Wie gut das Bindungssystem eines Individuums sich entwickelt, um in dieser Weise zu funktionieren, das hängt von seiner genetisch programmierten biologischen Prädisposition und zugleich von der versorgenden Umgebung ab (Schore 2001). Wenn das bindungssuchende Verhalten des Kindes auf eine konsequent responsive Fürsorge und Betreuung trifft, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass eine sichere Bindung zustande kommt. Wenn es den anfänglichen bindungssuchenden Strategien des kleinen Kindes dagegen nicht gelingt, eine Reaktion der Fürsorge auszulösen, dann wird das Kind protektive oder

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