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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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sind unbedingt in Betracht zu ziehen, wenn es um die Frage geht, ob ein sexuelles Verhalten problematisch ist, wobei Gegebenheiten wie Leid und/oder Beeinträchtigung diese Differenzierung natürlich erleichtern können (Goodman 2001). Bei alldem ist aber festzuhalten, dass Leid nicht automatisch auf unkontrolliertes Sexualverhalten verweist. Wenn beispielsweise ein Mensch gerne pornografisches Material betrachtet und dabei weder eine Beeinträchtigung erfährt noch bekümmert ist, während seine Partnerin leidet, dann könnte das auf unterschiedliche Wertvorstellungen in Bezug auf den »Konsum« von Pornografie deuten (Levine 2010). Ein Mensch kann sich auch wegen seines Glaubens oder wegen der in seiner Familie gängigen Ansichten mit seinen sexuellen Wünschen (die vielleicht nicht heterosexueller Art sind) unglücklich fühlen; das hat allerdings nichts mit unkontrolliertem Sexualverhalten zu tun.
    Leid und Beeinträchtigung, wie sie einen Menschen mit unkontrolliertem Sexualverhalten treffen können, führen etwa zu eingeschränkten beruflichen Leistungen oder nachlassender Schaffenskraft, weil der Betreffende sich mit pornografischem Material befasst oder seinen Sexfantasien nachhängt, zu finanziellen Schwierigkeiten, weil er Geld für Sexdienste und pornografische Schriften ausgibt, zum Zerbrechen der Beziehung, weil er untreu ist, zum Verlust des vertrauten und befriedigenden Sexuallebens mit der Partnerin, zu rechtlichen Konsequenzen (vielleicht weil er beim Sex in der Öffentlichkeit ertappt wird oder sich mit kinderpornografischem Material befasst), zu gesundheitlichen Problemen wie etwa Infektionen, die durch Geschlechtsverkehr übertragen werden, zur Verbreitung des Aids-Virus, zu einer ungewollten Schwangerschaft (Muench et al. 2007). Alle diese möglichen Folgen können sich auch auf die Partnerperson und auf die Familie des betreffenden Menschen auswirken.
    So stellte sich z. B. bei Durchsicht der Literatur über die Auswirkungen der Internetpornografie auf Ehe und Familienleben heraus, dass die Partner derer, die im Internet in Sachen unkontrolliertes Sexualverhalten »unterwegs« waren, sich nach ihren eigenen Worten verletzt, zornig, zurückgewiesen und unzulänglich fühlten – zum Schaden des Vertrauens und der Intimität in ihrer Beziehung (Manning 2006). Die Kinder solcher Personen waren, ohne es zu wollen, pornografischenAngeboten ausgesetzt, hörten von Internet-Sex, erlebten es, dass Vater oder Mutter masturbierten, waren in ihrer geschlechtlichen und sozialen Entwicklung traumatischen Botschaften ausgesetzt, die mit Sexualität und Beziehungen zu tun hatten, hegten unrealistische Erwartungen, was ihre zukünftigen sexuellen Beziehungen anging, verbrachten weniger Zeit sowohl mit der an unkontrolliertem Sexualverhalten interessierten als auch mit der anderen Elternperson, die ihrerseits eine Mauer um sich errichtet hatte und ganz von dem Problem eingenommen war; zudem hatten sie ein vergleichsweise größeres Risiko, Konflikte zwischen Vater und Mutter mitansehen zu müssen sowie die Trennung oder Scheidung der Eltern zu erleben (Manning 2006). Das alles schwappt auf die größere Gemeinschaft über, sei es in der Form von Kosten und Leistungen etwa für die sexuelle Gesundheitspflege, für Schwangerschaftsabbrüche, für die Unterstützung alleinerziehender und arbeitsloser Eltern, für psychologische Dienste wie die Beratung durch die Familiengerichte oder auch – vielleicht besonders alarmierend – in Form der Weitergabe des problematischen Sexualverhaltens oder anderer Probleme an die betroffenen Kinder.
    Alles in allem – und ungeachtet der Kontroversen um die vielfältigen Erscheinungsformen und die Definition von unkontrolliertem Sexualverhalten – können Leid und Beeinträchtigung im Zusammenhang mit dem Sexualverhalten ein guter Indikator von OCSB sein, auch wenn sie für eine Definition dieses Phänomens allein nicht ausreichen. Da unkontrolliertes Sexualverhalten Auswirkungen auf andere Menschen – Lebensgefährten, vorhandene oder zukünftige Kinder, Freunde, Angehörige, Arbeitgeber, Sexualpartner – haben kann, handelt es sich um ein Problem, das die größere Gemeinschaft betrifft und daher der präzisen Erfassung, der Intervention und präventiver Bemühungen bedarf.
Epidemiologische Überlegungen
    Im Zusammenhang mit der Frage, welcher Klientel derartige Probleme wahrscheinlich am ehesten zu schaffen machen, ist Forschern und Klinikern die Epidemiologie von

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