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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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unkontrolliertem Sexualverhalten ein wichtiges Anliegen. Sie akkurat zu bestimmen ist wegen der Uneinheitlichkeit der Erfahrungen mit unkontrolliertem Sexualverhalten und von dessen Definitionen allerdings schwierig. Es kommt hinzu, dass die meisten Stichproben, die untersucht wurden, nicht repräsentativ waren und sich in der Regel aus behandlungssuchenden – schwulen oder bisexuellen – Hochschulstudenten oder aus männlichen Sexualstraftätern zusammensetzten (Kaplan & Krueger 2010).
Prävalenz
    Die vorhandenen Studien deuten auf ein Anfangsalter für unkontrolliertes Sexualverhalten von unter 18 Jahren hin; seinen Höhepunkt erreicht das Phänomen aber in der Regel zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr (Goodman 1997). Prävalenzschätzungen galten amerikanischen Stichproben und kamen auf einen Anteil von 3 – 6 % der Bevölkerung (Black 2000; Carnes 1992; Coleman 1992; Goodman 1993). In Neuseeland wurde vor kurzem im Rahmen einer Kohortenstudie ( n = 940) im Längsschnitt nach der Wahrnehmung »unkontrollierter Sexualerfahrungen« (»Out of Control Sexual Experiences«, OCSE) gefragt (Skegg et al. 2010). 13 % der männlichen und 7 % der weiblichen Teilnehmer berichteten von solchen wahrgenommenen Erfahrungen, aber nur 3,8 % der Männer und 1,7 % der Frauen hatten diese Erfahrungen nach ihren eigenen Worten als etwas empfunden, das sich störend auf ihr Leben auswirkte – nach Reid und Woolley (2006) eines der Kriterien für unkontrolliertes Sexualverhalten.
    Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden nur in sehr wenigen Studien genannt, die sich mit unkontrolliertem Sexualverhalten befassen. Bisher wissen wir, dass Frauen in ihrem Beziehungsverhalten eher zur Übertreibung neigen (z. B. aktiv nach Beziehungen suchen), während das exzessive Moment sich bei Männern eher »im Alleingang« (z. B. im Betrachten pornografischen Materials) äußert (Manley & Koehler 2001; Turner 2008). Frauen dürften insgesamt auch weniger Sexualpartner haben als Männer (Black et al. 1997). Es mag auch kulturelle Unterschiede geben; bisher hat sich aber offensichtlich noch keine Studie mit der Frage befasst, ob der kulturelle Hintergrund bei unkontrolliertem Sexualverhalten eine Rolle spielt. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei diesem Verhalten jedoch um ein interkulturelles und weltweit verbreitetes Phänomen (Manley & Koehler 2001).
Komorbidität
    Unkontrolliertes Sexualverhalten koexistiert erwiesenermaßen mit Psychopathologien und Drogenkonsum (Black et al. 1997; Guigliano 2006; Weiss 2004). Black et al. (1997) gingen psychiatrischen Störungen bei 36 freiwilligen Probanden nach, die von zwanghaftem Sexualverhalten berichteten. Sie fanden Prävalenzen in der bis zum Erhebungszeitpunkt verstrichenen Lebenszeit von 36 % für eine Depression und von 42 % für Phobien; 33 % der Probanden hatten ein momentan koexistierendes Problem, 61 % ein in der gesamten bisherigen Lebenszeit koexistierendes Problem. Black et al. stellten ferner fest, dass alle Teilnehmersubjektives Leid, eheliche Unstimmigkeiten und zwischenmenschliche, berufliche oder rechtliche Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit ihrem Sexualverhalten nannten. Weiss (2004) ging der Prävalenz von Depressionen unter männlichen Sexsüchtigen nach und kam zu ähnlichen Ergebnissen wie Black et al.: Bei 28 % seiner Probanden mit zwanghaftem Sexualverhalten bestand eine Depression, während die durchschnittliche Prävalenz bezüglich einer Depression in der US-amerikanischen Gesamtbevölkerung 9,8 % beträgt (Weiss 2004). Und Guiglianos (2006) qualitative Studie mit Männern mit unkontrolliertem Sexualverhalten kam zu dem Ergebnis, dass 65 % dieser Probanden gleichzeitig Sex und Drogen »nahmen«. Black et al. (1997) stellten ebenfalls fest, dass 64 % derer, die von zwanghaftem Sexualverhalten berichteten, auch die Kriterien für eine durch Suchtmittel verursachte Störung erfüllten.
    Noch fehlt es zwar an einer klaren und akkuraten Bestimmung der Epidemiologie von unkontrolliertem Sexualverhalten; es handelt sich aber augenscheinlich um eine nicht-homogene Störung, die häufig mit koexistierenden Problemen einhergeht. Angesichts dieser Varietät der Erfahrungen müssen wir überlegen, was über die Ursachen von unkontrolliertem Sexualverhalten bekannt ist.
Überlegungen zur Ätiologie unkontrollierten Sexualverhaltens
    Die Kenntnis der Ätiologie von OCSB ist wichtig, wenn es darum geht, geeignete Interventionen zu planen. Forscher und Kliniker, die

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