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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Sekretärin wühlte lange in ihren Akten.
    »So jemanden haben wir nicht, Sie sind hier falsch.«
    »Und wer schützt die Tiere?«
    »Wieso sollte man sie schützen?«
    »Hören Sie, es werden Straßenhunde an China-Restaurants verkauft.«
    »Da müssen Sie zur Verwaltung für die Entwicklung des Unternehmertums!«, rief die Sekretärin freudig, da die Anfrage gelöst schien.
    »Das ist kein Unternehmertum! Das ist ein Verbrechen! Verstehen Sie nicht, dass Hunde hier als Essen an Restaurants verkauft werden?«
    Nach langer Diskussion und vielen Missverständnissen kam Lena zur Leiterin des Amts für Sozialpolitik. Hier schützte man zumindest bestimmte Gruppen: Rentner, Behinderte, Kinder und Kindeskinder des Krieges und der Arbeit, Afghanistan-Kriegsveteranen, Alleinstehende und Arbeitsunfähige, Waisenkinder, sozial schwache Bürger und sogar Personen ohne festen Wohnsitz. In dieser Liste sind keine Hunde angeführt, aber zumindest die Bezeichnung »ohne festen Wohnsitz«. Hier weiß man, was Barmherzigkeit heißt.
    Eine Dame im Kostüm, die Amtsleiterin, empfing Lena mit freundlichem, etwas aufgesetzt wirkendem Lächeln.
    »Guten Tag«, sagte Lena, als sie das Zimmer betrat. »Ich habe Ihnen vor Kurzem Aufzeichnungen von Gesprächen mit obdachlosen Bürgern geschickt, welche einen menschenfeindlichen Handel mit herrenlosen Tieren aufdecken. Hauptsächlich mit Hunden.«
    Man sah der Dame an, dass sie kein Wort verstanden hatte. Dennoch hatte sie sofort eine Antwort parat:
    »Die ukrainische Post ist leider sehr unzuverlässig. Wir haben nichts bekommen.«
    »Na gut, dann erzähle ich es Ihnen«, sagte Lena und machte es sich auf dem Stuhl bequem.
    Sie arbeitete ihre Geschichte Punkt für Punkt ab, angefangen bei der Anzeige und den Hündinnen aus dem Studentenheim bis hin zur Polizei. Die Beamtin unterbrach sie nicht. Gelegentlich machte sie auf ihrem Block Notizen.
    »Wir müssen dringend etwas unternehmen«, sagte Lena schließlich. »Die Polizei deckt die Verbrecher.«
    »Warum denn gleich Verbrecher«, sagte die Amtsperson mit Namen Bohdana Iwaniwna vorsichtig.
    »Finden Sie nicht, dass es sich um Verbrecher handelt?«
    »Darüber kann nur das Gericht entscheiden.«
    Bohdana Iwaniwna war die Ruhe und Ausgeglichenheit in Person. Sie ging übrigens dreimal die Woche zwischen sechs und sieben Uhr, noch vor dem Frühstück, im Stadtpark laufen. Das Laufen erfreute sich damals unter den Beamten der Stadtverwaltung allergrößter Beliebtheit.
    »Aber Sie verstehen schon, dass hier ein Verbrechen vorliegt?«, fragte Lena trotzig.
    »Da wäre ich mir nicht ganz so sicher.«
    »Das heißt, Sie finden es normal, dass Straßenhunde zu Fleisch verarbeitet werden?«
    »Nein, das ist nicht normal.« Bohdana Iwaniwna stand abrupt auf und tat so, als würde sie fieberhaft nachdenken. Aber vielleicht dachte sie auch wirklich nach.
    »Wenn jemand so tut, als würde er nachdenken«, schrieb Lena später in ihren Tagebüchern, »kann man nie wissen, ob er in diesem Augenblick auch wirklich nachdenkt.«
    »Verstehen Sie, wir leben in einer grausamen Welt …«, sagte Bohdana Iwaniwna.
    »Aber es ist doch die Aufgabe eines jeden Einzelnen, Grausamkeiten zu bekämpfen.«
    »In der Tat. Und wir werden auch Maßnahmen ergreifen. Ganz bestimmt. Sie müssen allerdings auch verstehen …«
    »Was muss ich verstehen?«
    Um überzeugender zu wirken, versuchte Bohdana Iwaniwna, Lena in die Augen zu sehen. Lena schaute weg. Sie hasste diese Psychotricks.
    »Was grausam aussieht«, sagte die Beamtin, »muss nicht automatisch auch so sein. Sie wissen ja, dass die Situation mit den Straßenhunden katastrophale Ausmaße erreicht hat.«
    »Ja.«
    »Die Stadtverwaltung kann nichts dagegen ausrichten. Dafür gibt es keine Gelder und es wird in nächster Zeit auch keine geben. Bei uns gehen tagtäglich Beschwerden von besorgten Bürgern ein. Die Hunde greifen Kinder und sogar Erwachsene an. Im vergangenen Jahr hat es …«, Bohdana Iwaniwna holte einen Zettel aus der Schublade, »… hat es, da ist es, über tausend Angriffe von Tieren auf Menschen gegeben. Achtzig Fälle mussten behandelt werden. Das heißt, mit Injektionen in den Bauch. Das ist nicht sehr angenehm, das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Ich würde sagen, dass sich die Zahl der herumstreunenden Tiere in den letzten zwei Wochen deutlich verringert hat.«
    Lena war wütend.
    »Aber Hunde essen ist nicht normal!«
    »Für uns ist das nicht normal, da

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