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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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waren sich einig in ihrer Beurteilung: »Ja, es besteht indeed eine gewisse Ähnlichkeit.«
    An der Universität ließ Lena sich kaum mehr blicken und wurde deshalb exmatrikuliert, wobei man ihr eine Hintertür offen ließ, sollte sie sich wieder besinnen. Doch Lena dachte nicht im Traum daran.
    »Ich gehe weg von hier«, sagte sie zu Wassylyna. »Ich mache eine Weltreise, schaue mir zuerst Europa an und dann Lateinamerika. Unlängst habe ich von zwei Flusspferden in Paraguay geträumt.«
    »Und was willst du dort machen?«
    »Was sich ergibt. Ich brauche nicht viel.«
    »Ukrainische Frauen prostituieren sich im Ausland«, erwiderte Wassylyna.
    »Und was soll daran schlecht sein?«, erwiderte Lena, um sie aufzuziehen. »Sind wir hier keine Prostituierten?«
    »Sind wir nicht«, widersprach Wassylyna vehement. Und sie hatte recht, zumindest was sie selbst betraf.
    Um eine Weltreise planen zu können, musste Lena erst einen Reisepass beantragen. Schnell würde sich das nicht erledigen lassen, denn Lena besaß auch keinen für die behördlichen Formalitäten erforderlichen Inlandspass. Sie schwindelte, sie hätte ihn verloren, doch die Beamtin von der Passbehörde schwor später, Lena hätte niemals einen beantragt.
    Jedenfalls musste Lena sich ein halbes Jahr gedulden und hatte keine Beschäftigung. Sie dachte nach. Das brauchte sie aber nicht allzu lange zu tun, weil sich von alleine eine neue Aufgabe fand.
    Lena hatte überall in der Stadt Anzeigen gesehen, in denen jemand Straßenhunde suchte und eine Hrywnja pro Schnauze zahlte. So fing alles an. Lena war überzeugt, die Hunde würden mit dem hehren Ziel eingesammelt, sie zu retten, und kämen bestimmt ins Tierheim, über das schon lange diskutiert wurde, das aber aus Mangel an Geld und Freiwilligen immer noch nicht existierte. Lena kam zu dem Schluss, dass die für das Tierheim Verantwortlichen sich nun für diese ungeschickte Vorgehensweise entschieden hatten.
    In San Francisco gab es tatsächlich sehr viele streunende Tiere: etwa zehn- bis dreißigtausend, je nach Jahreszeit. Es waren Katzen und Hunde verschiedenster Rassen, die meisten Promenadenmischungen. Aus irgendeinem Grund wurden die Tiere sehr groß. Sie konnten lieb und zutraulich sein, dann wieder wild und aggressiv, und manchmal sogar tollwütig. Die Leute hatten Angst und beschwerten sich. Die gutmütigen, zum Teil etwas minderbemittelten Hausmeisterinnen gaben den armen Viechern zu fressen und versteckten sie tagsüber vor den planmäßigen Verfolgungen in ihren Wohnungen. Die Hundefänger kamen dreimal im Jahr, für gewöhnlich spät nachts, damit die Stadtbewohner, die im warmen Bettchen schliefen, das verzweifelte Geheul und das schauderhafte Gebell nicht hörten. Die Hunde wurden bereits tot zur Mülldeponie gefahren und in einen eigens dafür angelegten Graben gekippt.
    »Vom Standpunkt der Zoologie und der Populationswissenschaft«, schrieb Lena in einem Beitrag für die Stadtzeitung, »hat der Hunde- und Katzenfang überhaupt keinen Sinn. Da wird einfach Geld aus der Stadtkasse vergeudet. Anstelle der eingefangenen Tiere kommen sofort neue, und sie sind kräftig, gesund und im besten fortpflanzungsfähigen Alter. Mord ist keine Lösung. Katzen und Hunde sind nicht auszurotten. Wenn man sie tötet, heißt das also für mich, dass diejenigen, die es tun, einfach Spaß daran haben.«
    Nach Erscheinen der merkwürdigen Anzeigen brach in der Stadt ein richtiges Jagdfieber aus. Die Obdachlosen von San Francisco, etwa fünfhundert bis tausend an der Zahl, hatten sofort erkannt, dass das Einsammeln von Hunden und Katzen mehr einbringen würde als das Sammeln von leeren Bierflaschen, und sie begannen, die ebenso obdachlosen Tiere in Parks und auf verlassenen Grundstücken zu jagen. Sie stopften die Hunde in selbst gebastelte Käfige, und sobald diese gut gefüllt waren, brachten sie die Beute zum Auftraggeber. Die Tiere wurden nur lebend angenommen, was anfangs ganz vielversprechend klang.
    Lena fing zwei Weibchen, die schon längere Zeit in der Nähe des Studentenwohnheims lebten, und rief bei der angegebenen Nummer an. Sie wollte sich unbedingt an der guten Sache beteiligen. Eine höfliche Telefonstimme sagte, sie solle die Hunde zu einer bestimmten Adresse bringen, und zwar zwischen acht Uhr abends und zehn Uhr vormittags.
    »Haben Sie die ganze Nacht geöffnet?«, wunderte sich Lena, doch am anderen Ende der Leitung wurde schon aufgelegt.
    Lena musste lange nach der Adresse suchen. Es handelte

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