Biografie eines zufälligen Wunders - Roman
Hunde auf einem von den Märkten des Mönchs erschossen und die Kadaver nicht beseitigt. Der Mönch sei darüber sehr verärgert gewesen und habe daraufhin nach eigenem Ermessen für Ordnung gesorgt.
Die Hundefänger wurden mitten in der Nacht aus ihren Wohnungen entführt und ein paar Tage lang Gott weiß wo kopfüber aufgehängt. Danach kehrten sie geläutert nach Hause zurück. Sie wechselten sofort den Beruf und arbeiteten von da an als Installateure. Einer von ihnen verklagte die Stadt auf Schadenersatz, weil er viele Jahre lang Tiere morden musste. Er verlangte eine kostenlose Psychotherapie, da er schlecht schlafen konnte. Den Prozess hat der Mann selbstverständlich verloren.
Das Wohnungsamt versuchte noch eine Zeit lang, die frei gewordenen Stellen neu zu besetzen, doch es fanden sich keine Bewerber. Der Leiter des Wohnungsamts trat unerwartet zurück und an seine Stelle trat eine Dame, die zuvor für die Begrünung der Stadt zuständig gewesen war. Sie konnte sofort passende Räumlichkeiten und Startgelder für die Eröffnung des versprochenen Tierheims lukrieren. Freiwillige meldeten sich wie von selbst.
Eine Bewegung zum Schutz von irgendwas findet sehr schnell Anhänger, sagte Lena später. Menschen versammeln sich von Natur aus gerne um eine gute Sache, wie aussichtslos diese auch sein mag.
Fairerweise sollte man hinzufügen, dass das Tierheim wenig gebracht hat und die Zahl der Streuner nach seiner Eröffnung nicht kleiner wurde. Die Hunde und Katzen wühlten wie zuvor in den Mülltonnen. Die Menschen bekamen wie zuvor Tollwutspritzen in den Bauch und hassten die Tiere – wie zuvor. Die kommunistische Partei zog bei den nächsten Wahlen wieder ins ukrainische Parlament ein.
Lena ließ den Kopf aber nicht hängen. Sie wiederholte unbeirrt, in einem aussichtslosen Kampf sind diejenigen am wichtigsten, die kämpfen, weil sie der Zeit nicht erlauben, sie in Monster zu verwandeln. Man verliert den Kampf, aber man kann sich selbst gewinnen.
Als Lena endlich ihre beiden Pässe hatte, meldete sie sich aus ihrem Studentenwohnheim ab, obwohl sie dort ohnehin nicht länger wohnen durfte. Sie verabschiedete sich von ihren Eltern, welche die Idee ihrer Tochter, in die Welt hinauszugehen, relativ ruhig aufgenommen hatten, und kaufte ein Ticket für den Bus nach Bratislava, was die billigste und einfachste Möglichkeit darstellte, über die ukrainische Grenze nach Europa zu gelangen. Von dort aus wollte Lena weiterziehen. Möglichkeiten gab es viele, und die Zukunft, die sich dahinter verbarg, reizte sie und machte ihr gleichzeitig Angst.
Das Ticket kostete 150 Hrywnja. Der Bus ging um 18 : 15 Uhr vom Busbahnhof ab. Am nächsten Tag würde er bereits in Bratislava ankommen. Lena schrieb ein und denselben Satz dreimal in ihr Tagebuch: »Ich laufe nicht weg, ich will nur die Welt sehen.« Warum sie diesen Satz dreimal schreiben musste, ist nicht bekannt.
Es ist aber sehr wohl bekannt, dass der Bus nach Bratislava, der den Busbahnhof schließlich mit zehn Minuten Verspätung verlassen hat, ohne Lena abgefahren ist. Sie hat die Grenze nicht überquert, was später von den ukrainischen Grenzbeamten auch schriftlich bestätigt wurde.
Denn es passierte Folgendes.
Am Tag der geplanten Abreise führte Lena auf dem Hauptplatz von San Francisco zum Abschied eine letzte Hundeaktion durch. Es kamen nur sehr wenige Menschen. Ehrlich gesagt, es kam gar niemand. Das Wetter hatte Schneeregen zu bieten. Lena war patschnass und durchgefroren. Ihre Pappschilder waren durchweicht wie altes Brot in einer Schale Milch. Die Stiefel machten Schmatzgeräusche. Lenas Karriere als Tierschützerin endete sang- und klanglos.
Als sie ihre Sachen wieder zusammenpackte, sah sie eine rundliche kleine Frau, die in einiger Entfernung stand und sie mit ihrem verbitterten Blick durchbohrte. Dieses Gesicht und dieser Blick kamen Lena irgendwie bekannt vor.
»Du hast nur Hunde im Kopf!«, rief die Frau. »Verrecken sollst du!«
Da fiel es Lena wieder ein. Es war die Mutter ihrer Schulfreundin Iwanka, die Lena damals Hund nannte.
»Frau Maria, was haben Sie denn? Was ist passiert?«
Lena hatte Hund seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Zuletzt hatten sie im Krankenhaus miteinander gesprochen, nach Hunds gescheiterter Ehe und ihrer schweren Erkrankung.
Die Frau antwortete nicht, drehte sich weg und ging davon. Sie ließ Lena auf dem menschenleeren Platz im nassen Schnee und in der spätherbstlichen Dämmerung stehen. Danach schrieb Lena, es
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