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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Mönch habe sich für dieses Gold seine gesunden Zähne ziehen lassen. Angeblich, weil er Nerven im Mundraum für überflüssig hielt.
    Lena sprach weiter:
    »Und ich bin gar nicht dagegen. Menschen haben ihren eigenen Kopf und können sich aussuchen, welchen Weg sie gehen. Vielleicht wird man auch geboren, um zu entscheiden. Dann sieht man, wie die Menschen wirklich sind.«
    »Ich mag deine Theorie«, sagte der Mönch.
    Lena wurde mutiger:
    »Ich glaube nicht, dass es das Böse gibt, das bestraft werden muss, aber ich glaube, dass es skrupellose Menschen gibt, die man umerziehen kann. Sie sind nicht böse, sie haben nur kein Gewissen. Skrupellos sind die Menschen, die, warum auch immer, vergessen haben, dass sie sterblich sind. Wenn man sie daran erinnert, können sie zu besseren Menschen werden.«
    »Was willst du?«
    »Ich will, dass Sie mir helfen.«
    »Meine Hilfe ist kostspielig. Was kannst du mir anbieten?«
    »Nichts«, antwortete Lena ehrlich, »ich habe nichts.«
    Der Mönch lachte wieder. Er fand Lena amüsant. Sie schnatterte drauflos:
    »Es gibt zwei Arten von Schwäche, Herr Mönch. Es gibt Schwäche aus Erbärmlichkeit und es gibt Schwäche aus Unschuld. Ich habe kein Mitleid mit denen, die schwach aus Erbärmlichkeit sind. Aber diejenigen, die schwach sind, weil sie unschuldig sind, müssen geschützt werden. Das ist meine Aufgabe … Und Ihre auch.«
    »Meine? Wie kommst du denn darauf?«
    »Weil Sie genauso sind wie ich. Sie haben zwar viel, aber in Wirklichkeit besitzen Sie nichts. Und Sie werden bald sterben, genau wie ich.«
    Der Mönch wurde ernst. Er konnte Lena an den Füßen aufhängen und sie bis zum Morgen am Kronleuchter baumeln lassen. Man erzählte sich, dass er Leute, die ihm auf die Nerven gingen, oft mit dem Kopf nach unten aufhängen ließ. Lena wartete.
    »Sag mir, was du willst«, meinte der Mönch schließlich. »Aber pass auf! Wenn es mir nicht gefällt, hast du ein Problem.«
    Lena stellte sich mit geradem Rücken mitten im Zimmer auf, als würde sie gleich ein Gedicht bei einem landesweiten Wettbewerb vortragen.
    »Helfen Sie mir, die Mörder der Straßenhunde zu bestrafen!«
    Im Zimmer wurde es still. Die Schläger waren drauf und dran, Lena aus dem Blickfeld des Mönchs zu entfernen. Einer von ihnen flüsterte:
    »Boss, die ist einfach … blöd im Schädel …«
    »Nein, warte«, sagte der Boss, »sie soll fertigreden.«
    »Verstehen Sie«, schnatterte Lena und ließ vor lauter Angst fast alle Vokale aus, »der Mensch hat drei Arten von Beziehungen: erstens mit seinesgleichen, also zum Beispiel mit anderen Menschen, zweitens mit Höherem, also zum Beispiel mit Gott, und drittens mit Niedrigerem, also zum Beispiel mit einem herrenlosen Hund. Ich bin der Meinung, dass alle drei Beziehungsarten gleichwertig sein sollten. Der Mensch muss einen Hund genauso behandeln wie einen Bruder, mehr noch: so wie Gott. Wenn eine Gruppe von Menschen in der Stadt mit offizieller Genehmigung in einer Nacht Hunderte von Hunden umbringt und die Kadaver auf die Mülldeponie kippt, dann ist das für mich so, als würde man Gott umbringen und in die Mülltonne werfen.«
    »Boss, die ist nicht mehr ganz dicht«, mischte sich wieder ein eifriger Leibwächter ein.
    Der Mönch dachte nach. Während er sinnierte, ratterte Lena das, was sie vom Vaterunser noch wusste, siebenmal im Kopf herunter. Der Mönch stand auf, ging zum Fenster, blickte hinaus und sagte:
    »Ich bin nicht deiner Meinung. Ich mag keine Hunde.«
    »Es geht hier nicht ums Mögen!«, rief Lena beherzt aus. »Ich kann vieles nicht mögen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich es umbringen darf!«
    Der Mönch hielt kurz inne, was soviel bedeuten sollte wie: »Halt die Klappe und wage es ja nicht, mich je wieder zu unterbrechen«, und sprach dann ruhig weiter:
    »Ich mag keine Hunde. Aber gerade deswegen werde ich dir helfen. Ich sehe das so: Wer einen Hund tötet, ist selber einer. Wer eine Kakerlake tötet, ist selber eine.«
    Lena wollte ihm schon antworten, dass es nach dieser Logik heißen müsste: »Wer einen Menschen tötet, ist selber einer«, beschloss aber, lieber nichts zu sagen. Das war vermutlich auch besser so.
    Was danach besprochen wurde und ob überhaupt etwas besprochen wurde, entzieht sich der allgemeinen Kenntnis. Lena selbst leugnete, sich jemals mit dem Mönch getroffen zu haben. Sie erklärte, die Gangster hätten sich unabhängig von ihr in die Tierschutz-Angelegenheit eingemischt. Die Hundefänger hätten

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