Biohacking - Gentechnik aus der Garage
ist ihr Chef und wirbt mit ihr erfolgreich Gelder wohlhabender Sympathisanten ein, die von ewiger Jugend träumen. Der Informatiker de Grey hat selber noch nie in einem Labor mit jenen Zellen und Prozessen gearbeitet, über die er seine ziemlich kühnen Thesen verbreitet. Er hat dies auch nicht vor, doch mit den Mitteln der Stiftung finanziert er Projekte von Leuten wie Schloendorn.
Tatsächlich sind Ansichten wie die de Greys und seiner Anhänger nicht reine Hirngespinste von ein paar Leuten, die den Tod, auch wenn er erst kurz vor dem hundertsten Geburtstag kommt, als Zumutung sehen. Sie fußen auf zwei in der modernen Biologie zwar nicht unumstrittenen, aber durchaus sehr weit verbreiteten Überzeugungen:
Da ist erstens die These, dass alle Lebewesen, auch der Mensch, nur kybernetische, stoffwechselnde Maschinen sind. Im Grunde muss man demnach von diesen Maschinen nur alle Einzelteile und deren Funktionen verstehen, um sie warten und reparieren zu können wie etwa die Steprather Windmühle, die sich in der Nähe von Geldern heute noch so dreht wie direkt nach ihrem Bau Mitte des 15. Jahrhunderts.
Die zweite These, die vor allem für Schloendorns Ansatz eine Rolle spielt, ist die, dass es für jedes biologische Problem irgendwo schon längst eine Lösung gibt – oder etwas, was der Lösung sehr nahe kommt und sich leicht in die gewünschte Richtung umprogrammieren lässt. Sie kann sich etwa in den Genen von Tiefseebakterien oder eben in Schmutzwasser reinigenden Mikroben verbergen. Niemand anders als der Popstar unter den Biologen, J. Craig Venter, durchkämmt mit genau diesem Konzept als Rechtfertigung derzeit einerseits die Genome unzähliger Bakterien und bastelt andererseits an synthetischen Organismen, die irgendwann nach dem Wünsch-dir-was-Prinzip alles von sauberer Energie bis hin zu individuell wirksamen Medikamenten herstellen sollen.
Schloendorn machte sich also mit dem von de Greys Todesabschaffungsstiftung bereitgestellten Geld an seine Dissertation. Die brachte noch nicht den erhofften Durchbruch in der Bekämpfung des Alterns, trug aber zumindest die Worte „Fortschritt hin zu medizinischer Bioheilung“, gefolgt von den Namen der untersuchten Bakterienenzyme, im Titel. Es war ein Mini-Fortschritt, bei dem noch nicht einmal klar war, ob er nicht vielleicht doch in eine Sackgasse führte. Für Schloendorn jedenfalls ging alles zu langsam, und das akademische Umfeld mit skeptischen Chefs, ewigen Test- und Nochmaltest-Prozessen und dem Zwang zu wissenschaftlichen Publikationen empfand er als Korsett.
Schloendorn zog in eine Lagerhalle, um dort unabhängig seine Forschung fortzusetzen.
Er heuerte jene Eri Gentry als Helferin an. Die hatte gerade ihr Wirtschaftsstudium in Yale abgeschlossen und wohnte nun wieder in ihrem Elternhaus in Arizona, um in Ruhe Pläne für die Zukunft zu schmieden. Schnell stellte sie fest, dass sie sich in dem improvisierten Labor in der Wüste wohler fühlte als in klimatisierten Bankgebäuden oder Universitäten, die auch sie als eher lähmende Institutionen sieht. Es sei so mühsam, sagt sie, dass man Fachartikel veröffentlichen muss, um Anerkennung zu finden, und dass man Vorgesetzte fragen muss, ob man diese oder jene Untersuchung anfangen dürfe. Kein Wunder, dass sie sich mit Schloendorn schnell gut verstand.
So wurde die Idee von Livly geboren. Es sollte nicht bloß ein weiteres Biotech-Startup sein. Eri und John entwarfen die Firma als Hort für Leute mit Ideen, die sie in den etablierten industriellen und akademischen Umfeldern nicht umsetzen können, weil sie dort zu vielen Zwängen unterliegen.
Mit diesen Grundüberzeugungen und ein paar konkreten Plänen im Kopf zogen die zwei 2009 aus Arizona nach Mountain View in Kalifornien. Der Feind hieß jetzt nicht mehr altmachender Stoffwechselmüll, sondern Krebs, was für Schloendorn aber kein qualitativer Unterschied war, sondern nur eine kleine, sinnvolle Verschiebung des Fokus von einer tödlichen Nebenwirkung des Lebens zur anderen.
In Mountain View untersucht Schloendorn Abwehrzellen. Er glaubt, dass diese zentralen Dienstleister des Immunsystems, von denen bekannt ist, dass sie auch Krebszellen angreifen können, bei manchen Menschen besonders effektiv arbeiten und jeden Tumor zerstören können. Er will herausfinden, was diese Krebskiller von anderen Abwehrzellen unterscheidet. Als Versuchsmaterial stehen ihm Blutproben – seine eigenen und die seiner Partnerin Eri – zur Verfügung, als Labor
Weitere Kostenlose Bücher