Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Kommunikation. Zwar meinen viele Wissenschaftshistoriker, unter ihnen die Darwin-Biografin Janet Browne von der Harvard University, dass Mendel mit seinen Ergebnissen der Zeit einfach zu weit voraus war, dass also auch Darwin mit ihnen wenig hätte anfangen können. Doch hätte Mendel seine Ergebnisse nicht auf Deutsch in einem eher unbekannten Fachblatt publiziert, sondern, was natürlich unmöglich war, auf Englisch vor der Londoner Royal Society vorgetragen, hätten mehr Forscher und Denker von ihnen erfahren – und es hätte sich vielleicht doch eine Diskussion entsponnen, an deren Ende die richtige Interpretation oder zumindest mehr Forschung in die richtige Richtung gestanden hätte. Mendel war im Vergleich zu Darwin ein einsamer Hacker, mit wenig Input von anderen und einem Output, dessen Bedeutung erst erkannt wurde, als er selbst schon lange als längst vergessener Pater in Brünn in seinem Grab lag.
Darwin und Mendel, so unterschiedlich sie waren, stehen für den Höhepunkt der Amateurwissenschaft, sie stehen aber auch am Scheitelpunkt ihrer Bedeutung. Schon wenige Jahrzehnte nach ihnen hatte das, was der Wissenschaftshistoriker Derek Price in seinem vor 50 Jahren erschienenen Standardwerk „Little Science, Big Science“ als „große Wissenschaft“ bezeichnet, die „kleine Wissenschaft“ völlig zurückgedrängt. Die Zeiten, in denen auch Amateurforscher, wenn sie zu netzwerken wussten, eine Rolle spielen konnten, schienen – bis auf wenige Ausnahmen, etwa in der Astronomie – vorbei. Die Leistungen von Darwins und Mendels Amateurforscher-Vorläufern waren nur noch Randnotizen, die mal mit Wohlwollen, mal mit Missachtung wahrgenommen wurden. Mit Ersterem wurde etwa Darwins Großvater Erasmus Darwin, der sowohl Raketenantriebe ersann als auch über Botanik und Physiologie publizierte und über Evolution spekulierte, bedacht. Letztere traf zum Beispiel Goethe mit seiner Farbenlehre.
Dabei waren die Vorgänger Mendels und Darwins bis dahin eigentlich in der Überzahl. Es gab mehr Universal- oder Spezial-Gelehrte, die ihre Brötchen mit etwas anderem als Wissenschaft verdienten, als Professoren und Angestellte an naturwissenschaftlichen Lehrstühlen. Es gab mehr Gottfried Wilhelm Leibnize als Isaac Newtons. Leibniz verdiente sein Geld unter anderem als Diplomat, Bibliothekar und Auftragshistoriker, Newton als Professor in Cambridge.Und die Geschichte der Rivalität zwischen gerade diesen beiden zeigt auch, dass die Amateure vergleichbare Chancen hatten, sich Gehör zu verschaffen und ernst genommen zu werden: dass Forschungs- und Denkqualität und -originalität mehr galten als akademische Titel.
Die Liste der wichtigen Amateurwissenschaftler ist endlos, man könnte sie im 15. Jahrhundert bei Leonardo da Vinci, der hauptberuflich Künstler und Ingenieur war, beginnen lassen. Man könnte sie fortführen mit dem Beitrag des Mainzers Otto Brunfels zur Botanik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, dann den bis zu seinem Tode 1576 in Transsilvanien beschäftigten Militärtechniker Conrad Haas erwähnen, der in seiner Freizeit Feuerwerkskörper bastelte und als Erster das Mehrstufenprinzip für Raketen beschrieb. Im 17. Jahrhundert könnte man unter vielen Antoni van Leeuwenhoek herausstellen, einen städtischen Beamten im niederländischen Delft, der heute als Begründer der Mikrobiologie gilt. Und so fort. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England entdeckte etwa der Pfarrer und Lehrer Joseph Priestley, der heute als einer der größten Experimentalwissenschaftler aller Zeiten angesehen wird, Sauerstoff und Kohlendioxid, dokumentierte die Photosynthese und erfand das Radiergummi. In Amerika erfand Thomas Jefferson, im Hauptberuf unter anderem Staatsgründer und Staatspräsident, ebenfalls ein paar nützliche Sachen und begründete zudem mit seiner Methode, eine Ausgrabungsstätte mit Gräben zu durchziehen, anstatt einfach alles von oben abzutragen, die moderne Archäologie – auch wenn seine europäischen Kollegen etwa 100 Jahre brauchten, um sie zu übernehmen. Und neben jedem dieser bekannten Namen stehen tausend weitere, die kleinere Entdeckungen oder Erfindungen machten, nur zum Spaß Naturforschung oder Raketenbasteln betrieben oder anderen Gelehrten willig ihre Käfer, ihre Mineralienproben, ihre Maschinendesigns, ihre Ideen schickten, die dort dann vielleicht zum Teil einer Entdeckung, einer Theorie, einer Erfindung wurden.
All die genannten und nicht genannten
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