Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Der Naturschutzbund Deutschland ruft jährlich Hobbyornithologen dazu auf, die Verbreitung und Häufigkeit des jeweiligen „Vogels des Jahres“ zu kartieren. Bei ornitho.de ist dieser Ansatz auf die gesamte Vogelwelt ausgeweitet. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle koordiniert tagfalter-monitoring.de. Abgeschlossen ist ein Projekt zur Evolution von Bänderschnecken, 24 dessen Ergebnisse unter der Überschrift „Bürgerwissenschaft offenbart unerwarteten evolutionären Wandel in einem Modellorganismus“ inzwischen im wichtigsten Online-Wissenschaftsmagazin PLOS ONE publiziert worden sind. 25
Neben Amateurwissenschaftlern, die miteinander und mit irgendeiner zentralen Instanz vernetzt sind, gab es immer auch solche, die eher allein forschten. Sie waren und sind, auch ohne Uni-Abschluss und Uni-Anschluss, meist echte Experten auf ihrem Gebiet. Und Beispiele wie die des erwähnten Patrick Moore zeigen, dass manche von ihnen sogar irgendwann ihr Hobby zum Beruf machten. Andere waren Berühmtheiten auf anderen Gebieten, wie etwa die Autoren Wladimir Nabokow und Ernst Jünger. Nabokow war einer der führenden Schmetterlingsexperten Nordamerikas, Jünger ein anerkannter Fachmann für Käfer. Aber auch im normalen Fußvolk gab und gibt es bis heute viele normale und ein paar herausragende Einzelforscher. Ein aus der Bretagne stammender Taxifahrer namens Pierre Morvan nutzte seine Urlaube und die frühen Jahre seiner Rentnerzeit zu ausgiebigen Expeditionen in den Himalaja und wurde dort zu einem führenden Experten in der Systematik der Laufkäfer (Carabidae). Er bekam dafür 1987 einen „Rolex Award for Enterprise“. Das Preisgeld von 50 000 Schweizer Franken steckte er in seine nächsten Expeditionen.
Dass sich bislang primär Himmels- und Naturbeobachtung für wissenschaftliche Bürgerbeteiligung eignet, könnte den abschätzigen Rutherford’schen Schluss nahelegen, dass sich das Potenzial solcher Beteiligung tatsächlich auf „Schmetterlingssammeln“ und Ähnliches beschränkt. Rutherford war ein schlauer Mann, vor allem wenn es darum ging, über sehr kleine Sachen wie etwa Atome und die darin herrschenden Grundprinzipien nachzudenken. Mit dem Lebenden und der es definierenden Vielfalt scheint er es nicht so gehabt zu haben. Tatsächlich beginnt die Bürgerwissenschaft gerade erst, ihre Möglichkeiten in Ansätzen zu offenbaren. Sie beginnt erst, dieses Potenzial zu nutzen und Beiträge zu liefern, die ein einzelnes Labor, wie teuer und modern seine Geräte auch sein mögen, nie zu leisten imstande wäre. Denn die Varianten der Natur (seien sie erblich oder umweltbedingt), ihre Veränderungen (zufällig, klimabedingt, ...) lassen sich nur von vielen einzelnen Augenpaaren an vielen einzelnen Orten an vielen einzelnen Pflanzen, Tieren und Biotopen beobachten. Und das funktioniert bis zu einem gewissen Grade mit sehr einfachen Mitteln und gilt mehr und mehr auch für die „moderneren“ Varianten der Biologie, für Beobachtungen und Experimenteauf molekularer Ebene. Gelingt es, die Beobachter und ihre Beobachtungen, die Experimente und Experimentatoren zu vernetzen und sinnvoll zu integrieren, kann dabei Forschung herauskommen, die mit anderen Mitteln kaum möglich wäre.
Auch, wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheinen mag: DIY-Biologie, Biohacking, Outlaw-Biologie bringen zwar neue Aspekte mit sich, zum Beispiel den des Bastelns, also des Ur-Do-It-Yourselfs schlechthin (nur eben mit molekularem Material). Sie basieren aber weitgehend auf denselben Prinzipien, die auch die klassische Bürgerforschung ausmachen. Dazu gehört die Beschäftigung mit dem Variantenreichtum der Natur, der Biologie (seien es Bakteriengene, Krankheiten, Zutaten von Lebensmitteln etc. – oder die sieben Milliarden individuellen menschlichen Genome selbst). Und auch Genanalyse ist letztlich Naturbeobachtung, individuell und ortsgebunden. Dazu gehören auch die mehr oder weniger stark ausgeprägte Kreativität und Geduld vieler Einzelforscher, der Austausch zwischen ihnen und die Möglichkeit, mit einfachen Mitteln Wissenschaft machen, bei Wissenschaft mitmachen zu können.
Die allermeisten, die sich beteiligen, gehen offen mit dem um, was sie tun. Sie wollen, dass andere davon erfahren und profitieren. Sie vernetzen sich untereinander und öffnen die Türen und Websites für Interessierte. DIYbio.org etwa ist eine explizit sozial, interaktiv, gemeinschaftlich organisierte Initiative. Im Projekt BioWeatherMap
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