Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Beispiele sind kein Grund, jene Jahrhunderte als die guten alten Zeiten der wissenschaftlichen Chancengleichheit zu verklären, denn der breiten Masse der Bevölkerung war der Zugang selbst zur Freizeitwissenschaft wegen mangelnder Bildung, mangelnder Ressourcen, mangelnder Vernetzung und mangelnder Zeit gar nicht möglich. Aber eines zeigen die Beispiele doch: wie wichtig Freiheit und Unabhängigkeit für produktive, tatsächlich neues Wissen schaffende Wissenschaft war. Die Freiesten, politisch und ökonomisch Unabhängigsten, hatten – wenn sie auch noch gut gebildet waren – auch die Möglichkeit, am freiesten zu denken und mit den vermeintlich seltsamsten Dingen und Überlegungen zu experimentieren. Auch wenn es im Vergleich zur Gesamtbevölkerung zahlenmäßig wenige waren, so kann gerade das im Umkehrschluss auch Folgendes bedeuten: Wenn Millionen, ja Milliarden Menschen Zugang zu Bildung, zu wissenschaftlichen Werkzeugen, zur Kommunikation mit anderen haben, wenn sie zudem nicht sechs Tage die Woche 14 Stunden arbeiten müssen: Welches Potenzial für die Gesellschaft steckt dann in ihnen – von freiwilligem sozialen Engagement bis hin zum Mitmachen bei oder Selbermachen von Wissenschaft? Welches Kapital schlummert hier? Welche Innovationen für die Lösung drängender Umweltprobleme, für das Design neuer Produkte, für die Suche nach neuen Therapien? Was wäre, wenn nur zehn Prozent der wöchentlichen jungen Talentshow-Zuschauer die richtigen Anreize und die nötigen Mittel bekämen, in der Zeit, die sie sonst vor dem Fernseher verbringen, ihre eigenen Talente zu entwickeln?
Doch gerade in der Zeit, in der in Europa, Nordamerika, Australien und auch einigen Ländern in Asien und Afrika Wohlstand und Bildung in die Breite wuchsen – als es also möglich gewesen wäre, die Intelligenz und das Interesse der Massen mehr und mehr anzuzapfen –, ist auch die Schwelle zwischen professioneller und Freizeitwissenschaft immer höher geworden. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts starben Darwin und Mendel. Mit ihnen verschwand nicht nur die ernsthafte Wissenschaft außerhalb von Institutionen wie Universitäten und Akademien fast völlig. Auch die im Einzelnen kleinen, in ihrer Summe aber wertvollen Beiträge von Hobbyforschern wurden zunehmend geringer geschätzt. Die Apparate wurden größer und teurer, die Forschungsgegenstände kleiner und schwerer zu beobachten, die Methoden abstrakter und mathematischer, die Professuren zahlreicher und der akademische Grad immer bedeutsamer. Es gab jetzt, so meinte etwa der Entdecker des Atomkerns ErnestRutherford seinerzeit, „richtige Wissenschaft“, wobei er vor allem an sein eigenes Fach, die Physik, dachte. Und dann gäbe es noch das „Schmetterlingssammeln“.
Ganz totzukriegen waren die Amateure aber nicht. Tatsächlich waren es die „Schmetterlingssammler“ unter den Profi-Forschern, also Naturgeschichtler, Zoologen, Botaniker, Geologen, die noch am ehesten Kontakt zur vernachlässigten Basis des interessierten Fußvolkes hielten. Sie ließen Amateure weiter nicht nur Schmetterlinge sammeln und sich von ihnen zuschicken, sondern nutzten sie zum Beispiel auch als Lieferanten von Versuchstieren. Und selbst im jungen Fach der Genetik erkannten manche sehr früh, wie wichtig Leute ohne akademische Bildung sein konnten, wenn sie nur ein spezielles Interesse – geschäftlich oder rein hobbymäßig – mitbrachten.
Genetik war, solange man noch nicht an die Moleküle der Vererbung herankam, schlicht die Wissenschaft der kleinen und größeren Unterschiede in großen Populationen und von deren Vererbung. Man konnte entweder, wie Mendel, Jahre damit verbringen, Tausende von Erbsen zu ziehen und zu kreuzen (im Falle des Mönchs aus Brünn waren es etwa 30 000) – oder man konnte sich der großen Masse der Erbsenbauern bedienen, oder eben alternativ der Züchter anderer Tiere und Pflanzen. Der inzwischen fast vergessene Genetiker Hans Nachtsheim begann in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Beispiel, die Zehntausenden organisierten deutschen Kaninchenzüchter anzuzapfen. 21 Das Kaninchen war für ihn das ideale Versuchstier, um Vererbungsvorgänge bei Säugern zu untersuchen: Im Gegensatz zu Mäusen und Ratten etwa gab es längst die verschiedensten Rassen, bei denen man auch ein wenig Erfahrungswissen über die Vererbung von Fellfarbe, Haarstruktur, Ohrlänge und anderem angesammelt hatte. Im Gegensatz zu den ebenfalls schon in vielen
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