Biohacking - Gentechnik aus der Garage
sammeln Freiwillige weltweit am Wohnort oder auf Reisen Proben von Mikroorganismen mit dem Ziel, die genetische Diversität von Bakterien, Pilzen und Viren zu dokumentieren und auf nützliche Varianten zu scannen. Ein solches engmaschiges globales „Mikrobiom-Projekt“ wäre mit traditionellen Methoden (Tausende bezahlte Wissenschaftler reisen um die Welt und sammeln Proben) wahrscheinlich in etwa so teuer wie ein bemannter Flug zum Mars. BioWeatherMap.org dagegen funktioniert als Teil einer Non-Profit-Organisation und hat erste Ergebnisse im Jahr 2012 publiziert. 26
Die meisten Biohacker und Heimwerker-Biologen sind also Herdentiere, arbeiten online oder „im Feld“ oder im Gemeinschaftslabor – das eine WG-Küche oder ein Hackerspace sein kann – zusammen. Ein paar wenige basteln auch für sich allein, nutzen aberdie im Netz verfügbaren Informationen sowie Diskussionsforen und Biohacking-Websites, wenn auch oft eher passiv. Die ungleiche Community besteht also aus vielen wie dem Astro-Bunny Hanny und einigen wenigen wie dem Taxi-Taxonom Pierre Morvan. Alle arbeiten meist mit einfachen oder zumindest einfach zu bedienenden Werkzeugen wie PC und Internet, beschaffen sich gebrauchte Geräte, basteln selber einfachere und billigere Lösungen für ihre Labors, nutzen erschwingliche Materialien, tauschen sich aus. Sie freuen sich, wenn sie von jemand anderem von einem coolen Hack erfahren oder einer cleveren Methode, und freuen sich noch mehr, wenn sie selber eine noch cleverere Methode hinterherschieben können. Sie reisen durchs Land und durch die Welt, schlafen bei anderen Biohackern oder DIY-Biologen auf der Couch und frickeln im Wachzustand dann im Küchenlabor oder Hackerspace.
Als Romie Littrell, ein DIY-Biologe und Bio-Künstler aus Los Angeles, im September 2012 auf diese Weise bei Richard unterkam, fehlten morgens die Kaffeefilter. Romie nahm mit den Worten „Das hier ist auch poröses Papier“ zwei Blätter von der Küchenrolle und machte damit Kaffee, nur um sich beim nächsten Mal davon überzeugen zu lassen, dass man für einen guten Kaffee überhaupt kein Papier braucht. Nach dem gleichen Prinzip springen Biohacker, Biopunks, oder wie man sie nennen will, mit Molekülen, Erbmaterial, Laborequipment und bewährten biotechnologischen Arbeitsanleitungen um: ein bisschen respektlos, ziemlich improvisatorisch, sehr auf das Wesentliche konzentriert, absolut flexibel und offen für Neues und mit offenen Augen.
Was allein zwei offene Augen, angeschlossen an einen offenen Geist und das Internet, leisten können, zeigt etwa Hanny van Arkels Beispiel aus der Bürgerastronomie. Die molekularbiologische Bürgerwissenschaft dagegen steht noch ganz am Anfang. Aus der Geschichte all der anderen Amateurwissenschaften ihre Zukunft vorhersagen zu wollen, wäre vermessen. Eines ist aber sicher: Die Zutaten, angefangen bei erschwinglichen Materialien und Geräten über vereinfachte Methoden und leichten Zugang zu Informationen und zu Gleichgesinnten bis hin zu einem Themenfeld, das unzählige interessante und vielleicht sogar lukrative Forschungsmöglichkeiten bietet, sind vorhanden. Neu ist die Möglichkeit, mit biologischer Basteleidas Leben selbst zu manipulieren – eine Option, die nicht nur fröhlichen Forschungs-Enthusiasmus hervorruft.
Ob DIY-Biologie und Biohacking hier zur Gefahr werden oder zu einer wichtigen gesellschaftlichen Kontrollinstanz, werden nicht der Zufall oder ein paar gute oder böse Einzelakteure entscheiden, sondern die Gesellschaft und ihre Entscheidungsträger selbst. Ob DIY-Bio und Biohacking aus Angst vor Missbrauch und Terror in die Illegalität gedrängt werden oder sich zu Motoren eines auf einer breiten demokratischen Basis stehenden Fortschritts entwickeln können, der Probleme in Umwelt, Energie, Technologie, Lebensmittelerzeugung und Medizin löst – dafür werden heute die Weichen gestellt.
Was Biohacker heute schon können, das wollten wir nach unseren Bildungsreisen nach Amerika, nach der aufreibenden Beschaffung des Hacker-Equipments und der Suche nach Motivation in der Geschichte der Bürgerwissenschaft nun selber, an und mit uns selbst, ausprobieren.
Kapitel 6 ...
... in dem wir kleine Löcher in dünne Pappen bohren, viel schwitzen, gemeinsam aufs Klo gehen, Cox-Orange genießen, uns eines Biotech-Rock-’n’-Rollers erinnern und Fisch-Gen-Millionäre werden – nur um am Ende wieder alles zu verlieren ...
DIE SUSHI-KRISE
Ist da was? Oder ist das
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