Biohacking - Gentechnik aus der Garage
alles wieder nichts? Ein orangefarbener Strich? Oder wieder nur der Wunsch nach einem orangefarbenen Strich? Hanno starrt auf das Gel. Es ist zu hell hier, um es richtig zu erkennen, aber Vorhänge oder ein Rollo gibt es nicht. Er bohrt ein Loch in einen Kartondeckel und stülpt ihn über die Gel-Apparatur mit der blauen Lampe darunter. Er krümmt sich über den Karton und späht durch die Öffnung. Versucht mit den Händen das Streulicht vom Guckauge abzuschirmen. Ist da nicht doch ein Schimmern? Er blinzelt, schaut noch einmal, klappert mit den Augendeckeln zwecks Entspannung der Sehmuskulatur, linst und äugt erneut. Da ist doch was!?
„Und?“ Die beiden anderen drängeln, wollen auch sehen, was es vielleicht zu sehen gibt. Und blicken dem Kollegen über die Schultern auf die Pappe, als ob auf ihr die Antwort stünde.
Es ist ohnehin schon hochsommerlich heiß in unserem Labor. Aber in diesen Sekunden steigt die gefühlte Temperatur noch einmal spürbar in Bereiche jenseits der Fiebergrenze. Eine Sekunde später reißt Hanno wortlos die Gelbox vom Tisch, schnappt sich die Blaulichtlampe und wetzt zum Klo, dem einzigen Raum auf der Etage ohne Fenster. Sascha hinterher. Richard bleibt zurück, auf der Suche nach der Kamera, die beim Dokumentieren dieses Ereignisses, wenn es denn eins ist, ganz dienlich wäre.
Die Leute aus den anderen Büros auf der Etage gucken irritiert den beiden sich gleich gemeinsam auf dem Klo einschließenden Männern hinterher. Aber es ist der einzige fensterlose Raum hier. Und Dunkelheit brauchen wir jetzt. Die Tür knallt ins Schloss. Wir machen das Licht aus, und es bleibt kein Zweifel: Wir sehen ein Gen. Das Gen! Und damit sind wir Biohacker.
Seit mehr als einer Woche arbeiten wir jetzt in unserer zum Labor umgebauten Büroecke in Berlin-Schöneberg. Bis zu diesem Augenblick erfolglos. Was auf dem Papier so einfach aussah und sich in den Erzählungen unserer DIY-Lehrer kinderleicht anhörte, ist in Wirklichkeit ein nervtötendes Geschäft. Nichts funktioniert. Und wir verstehen nicht, wieso. Was haben wir falsch gemacht? Wir haben uns an die Rezepte gehalten, wir glauben sogar zu wissen, was wir hier tun, und den Sinn jedes Schrittes der Prozedur zu verstehen. Aber es ist nicht wie beim Kochen, wo ein kleiner Fehler das Gericht selten völlig ungenießbar macht. Es ist alles oder nichts. Orangefarbener Streifen im blauen Licht oder eben nicht.
Vielleicht haben ja die Moleküle schlicht keine Lust, sich von Amateuren wie uns herumschubsen zu lassen? Das Sarkasmus-Niveau steigt von Tag zu Tag. Und die Kreativität bei den Durchhalteparolen.
Laborarbeit besteht offenbar vor allem darin, verschiedene Rezepturen von Chemikalien und Zellextrakten auszuprobieren, Fehlschläge zu akzeptieren und „Morgen ist ein neuer Tag“ zu murmeln, bis ein Experiment endlich funktioniert. Von systematischer Forschung kann jedenfalls gar keine Rede sein. Tagelang hantieren wir mit den Reaktionsgefäßen aus Plastik, die kleiner sind als ein Fingerhut. Es kostet Konzentration, die winzigen Flüssigkeitsmengen, die man kaum sehen kann, von einem Töpfchen in das nächste zu befördern. Ein Fehler – eine unbemerkte Verschmutzung oder eine versehentlich falsch angesetzte Konzentration der Lösung zum Beispiel –, und schnell ist ein Tag Arbeit dahin. Kein Wunder, dass in großen Labors dieser Job inzwischen oft von Robotern erledigt wird.
Katherine Aull, die Biohacking-Pionierin aus den USA, die ihren eigenen Gentest entwickelte, hatte uns gewarnt: „Es kann so viel schiefgehen, und du hast nicht die Kollegen, die dir dann zur Seite stehen und dir erklären, was schiefgelaufen ist, und eine Lösung parat haben, du kämpfst allein“, waren ihre Worte, derer wir uns immer mal wieder zu entsinnen gezwungen sind. Dazu kommt, dass man ein kleines Budget hat. Man kann Probleme nicht einfach durchteurere und bessere Reagenzien oder Geräte lösen, man muss improvisieren lernen. Wir kämpfen mal zu zweit, mal zu dritt, aber der Lösung kommen wir deshalb nicht näher. Warum sehen wir kein Schimmern an Tag 1? Keins an Tag 2? Und auch nichts in den kommenden Tagen? Wir wissen es bis heute nicht. Aber nachdem wir es einmal gesehen hatten, leuchtete es immer wieder. Es ist ein bisschen wie Radfahren lernen. Bevor das Kind so weit ist, dass es nicht mehr umfällt, gibt es eine Menge Geschrei.
Der Frust hatte schon begonnen, bevor wir das Labor überhaupt eingerichtet hatten. Die Gel-Elektrophorese-Kammer aus
Weitere Kostenlose Bücher