Biohacking - Gentechnik aus der Garage
kürzester Zeit war die Sushi-Analyse damit zur Bürgerwissenschaft geworden.
Alle benutzten bei ihren Versuchen eine noch sehr junge Methode, um Arten zu bestimmen. Sie wird als „DNA-Barcoding“ bezeichnet und vergleicht die Unterschiede in den 648 Bausteinen des sogenannten COX1-Gens, das in allen Lebewesen vorkommt. Von Art zu Art unterscheidet sich die Abfolge der Buchstaben an einigen Positionen, sie ist also im Wortsinne spezifisch: Jede Spezies hat ihre eigene. Man muss nur eine kleine Gewebeprobe nehmen, das COX1-Gen daraus kopieren und die Reihenfolge der Bausteine per Sequenzierung auslesen. Diese Gensequenz kann man dann mit einer Datenbank im Internet abgleichen, die die arttypischen COX1-Genvarianten gespeichert hat. 29
Genau so ein Experiment wollen wir machen. Vielleicht können wir ja die Berliner Sushi-Mafia entlarven – so es denn eine gibt, denn zumindest unser Sushi-Mann macht eigentlich einen sehr vertrauenswürdigen Eindruck.
Unser Material sammeln wir in einer Mittagspause in der Sushi-Bar um die Ecke. Wir nehmen insgesamt fünf Proben mit zurück ins Büroeck-Labor und legen sie in sterilen Plastikröhrchen auf Eis. Laut Speisekarte sollten es Thun- und Tintenfisch, „Red Snapper“, Aal und Lachs sein. Unsere Geschmacksanalyse hat das weitgehend bestätigt, wobei keiner von uns eine Ahnung hat, wie so ein „Roter Schnapper“ eigentlich aussieht oder mundet.
Die DNA wollen wir mit der Methode aus den Zellen holen, die uns Kay Aull bereits in Cambridge gezeigt hatte. Es ist jenes Verfahren, das lange Zeit auch von Kriminallabors benutzt wurde, um DNA-Spuren von Tatorten zu analysieren. Dazu schaben wir zuerst mit einer Pipettenspitze ein paar Zellen von dem jeweiligen Fischfleisch. Die mischen wir dann mit in der Apotheke gekauften Kunstharz-kügelchen namens „Chelex“ und einem Zehntel Milliliter Wasser. Ein kurzer Schleudergang in der Zentrifuge sorgt dafür, dass sich das Gemisch unten im Reaktionsgefäß sammelt und nicht überall an den Wänden klebt. Dann werden die Proben für 20 Minuten bei 99 Grad Celsius im Genkopierer gekocht. Dabei platzen die Zellen auf, die DNA löst sich im Wasser, während der restliche Zellmatsch an den Kunstharzkügelchen hängen bleibt.
Es folgt der nächste Zentrifugendurchgang, in dem die festen von den flüssigen Bestandteilen getrennt werden. Mit der Pipette saugen wir dann den flüssigen Teil, im Fachjargon „Überstand“ genannt, ab. In ihm müsste jetzt das Sushi-Erbgut schwimmen. All das machen wir natürlich mit jeder unserer Fischproben, beschriften jedes Gefäßchen penibel und versuchen, uns bei jedem Arbeitsgang so zu konzentrieren, dass nichts durcheinander kommt. Zehn Mikroliter von jedem der flüssigen Fisch-Erbgutextrakte mischen wir in je einem eigenen Reaktionsgefäß mit den anderen Zutaten: Magnesiumchlorid, DNA-Kopier-Enzym mitsamt der für den richtigen pH-Wert sorgenden Pufferlösung, DNA-Bausteine. Dazu kommen noch die sogenannten „Primer“ – kurze, im Fachhandel erhältliche Erbgutstücke, die das gesuchte Gen flankieren. Und ab damit in die Kopiermaschine, die in den nächsten drei Stunden 26 Kopierzyklen durchlaufen und dabei die wenigen COX1-Gene aus der Probe milliardenfach vervielfältigen wird. Wenn alles funktioniert.
In der Maschine läuft in dieser Zeit ein Prozess ab, der auf einer der einfachsten, aber genialsten Ideen der Biotech-Geschichte beruht. Diese Polymerase-Kettenreaktion (oder auch PCR nach dem englischen Begriff Polymerase Chain Reaction), ist so etwas wie der Faustkeil der Gentechnologie. Sie revolutionierte die Biowissenschaften und zählt heute zum alltäglichen Handwerkszeug in Forschung, Diagnostik, Forensik und Lebensmittelüberwachung. Ihre Erfindung ist für die Genetik in etwa das, was die Erfindung des Mikroskops für die klassische Biologie war. Sie ist eine Art Vergrößerungsglas zur Beobachtung von Erbmaterial, nur dass hier nicht optisch tausendfach vergrößert, sondern ein Molekül milliardenfach kopiert wird, damit es nachweisbar, „sichtbar“, wird.
Durch die Methode vervielfältigten und vereinfachten sich die Möglichkeiten, das greifbar zu machen, was jeden Organismus einzigartig macht: seine Gene, als Speicher fast aller für sein Entstehen und Bestehen nötigen Information aufgereiht auf dem fadenförmigen Riesenmolekül Desoxyribonukleinsäure (engl. Desoxyribonucleic Acid, kurz: DNA).
Wann immer vom Handwerk der Gen-Ingenieure die Rede ist, bekommt man das
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