Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
Variablen im Spiel, und das macht ihn nervös. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie es in Missouri einmal zu Ausschreitungen der Grahamiten kam. Die Lage war angespannt gewesen, es wurden Reden gehalten, und dann entlud sich der Zorn der Menge vulkanartig. Niemand hatte es kommen sehen. Nicht ein einziger Mitarbeiter des Geheimdienstes hatte geahnt, was für ein Hexenkessel unter der Oberfläche brodelte.
Anderson war schließlich auf einem Getreidesilo gelandet und wäre fast am Rauch der brennenden HiGro-Felder erstickt, während er Schuss um Schuss aus einem Federgewehr, das er einem begriffsstutzigen Wachmann abgenommen hatte, auf die Aufständischen abfeuerte und sich die ganze
Zeit fragte, wie er sämtliche Vorzeichen hatte übersehen können. Wegen ebendieser Blindheit hatten sie die Anlage verloren. Und jetzt ist es wieder dasselbe. Eine plötzliche Eruption, und er muss überrascht feststellen, dass die Welt, wie er sie sieht, nicht mit derjenigen übereinstimmt, in der er tatsächlich lebt.
Steckt Pracha dahinter, der nach der Macht greift? Oder Akkarat, der für Unruhe sorgt? Oder ist einfach nur eine neue Seuche ausgebrochen? Alles war möglich. Während Anderson zuschaut, wie die Weißhemden vorbeiströmen, kann er fast den Rauch der brennenden HiGro-Silos riechen.
Er winkt Carlyle, ihm in die Fabrik zu folgen. »Wir müssen Hock Seng finden. Wenn jemand irgendetwas weiß, dann er.«
Die Büroräume im Obergeschoss sind jedoch leer. Hock Sengs Räucherstäbchen brennen gleichmäßig, dünne Rauchfäden steigen auf. Überall auf den Schreibtischen liegen Unterlagen verstreut; das Papier raschelt in der sanften Brise der Kurbelventilatoren.
Carlyle lacht, leise und zynisch. »Na, ist Ihnen ein Assistent abhandengekommen?«
»Sieht so aus.«
Der Tresor mit der Handkasse ist nicht verschlossen. Anderson wirft einen Blick hinein. Wenigstens 30 000 Baht fehlen. »Verdammte Scheiße. Der Kerl hat mich bestohlen.«
Carlyle schiebt einen Fensterladen auf. Dahinter kommt ein Ziegeldach zum Vorschein, das sich über die ganze Länge der Fabrik erstreckt. »Schauen Sie sich das mal an.«
Anderson runzelt die Stirn. »Da hat er immer an der Verriegelung rumgemacht. Und ich dachte, er hatte Angst, jemand könnte einbrechen.«
»Ich glaube, er hat sich verdrückt.« Carlyle lacht. »Sie hätten ihn rauswerfen sollen, als Sie noch die Gelegenheit dazu hatten.«
Wieder hallt das Knallen von Stiefeln zu ihnen herauf – auf der Straße ist kein anderes Geräusch mehr zu hören.
»Immerhin, er hat Vorsorge getroffen!«
»Sie wissen doch, was die Thai sagen: »Wenn irgendwo ein Yellow-Card wegrennt, ist ihm bestimmt ein Megodont auf den Fersen.«
Anderson lässt noch ein letztes Mal den Blick durch das Büro schweifen und lehnt sich dann aus dem Fenster. »Kommen Sie! Wollen doch mal sehen, wohin sich mein Assistent verzogen hat.«
»Im Ernst?«
»Wenn er den Weißhemden aus dem Weg gehen wollte, dann sollten wir seinem Beispiel folgen. Ganz offensichtlich hatte er einen Plan.« Anderson zieht sich hoch und klettert in die Sonne hinaus. Fast verbrennt er sich an den Dachziegeln die Hände. Er richtet sich auf und schüttelt sie. Dabei kommt er sich vor, als stünde er in einer Bratpfanne. Er schaut sich auf dem Dach um, während er langsam ein- und ausatmet. Weiter hinten erhebt sich die Chaozhou-Fabrik. Anderson geht ein paar Schritte, dreht sich dann um und ruft: »Ja. Ich glaube, er ist hier entlang.«
Carlyle steigt auf das Dach hinaus. Sein Gesicht glänzt vor Schweiß, und sein Hemd ist nass. Vorsichtig gehen sie über die rötlichen Ziegel, während die Luft um sie herum zu kochen scheint. Schließlich stehen sie am Rand des Daches und blicken auf eine schmale Gasse hinab, die von der Thanon Phosri nicht einzusehen ist. Auf der anderen Seite hängt eine Leiter an der Mauer.
»Ich fass es nicht.«
Beide starren Sie die drei Stockwerke hinunter. »Ihr alter Chinese ist da rübergesprungen?«, fragt Carlyle.
»Sieht so aus. Und dann ist er die Leiter runtergelettert.« Anderson runzelt die Stirn. »Ziemlich tief.« Ohne es zu wollen
muss er über Hock Sengs Einfallsreichtum lächeln. »Kluger Kerl.«
»Das ist ein ganz schönes Stück.«
»Halb so schlimm. Und wenn Hock Seng …«
Anderson spricht seinen Satz nicht zu Ende, denn in dem Moment segelt Carlyle an ihm vorbei und über die Gasse hinweg. Er landet auf der anderen Seite und rollt sich ab. Kurz darauf ist er wieder auf den Beinen
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