Bios
Rentabilität und unterbrach mindestens zwei vielversprechende Forschungsprojekte, doch Li meinte kategorisch: »Das ist Degrandpres Problem, nicht meins.«
Eine lobenswerte, beinah kuipersche Einstellung, dachte Elam.
Sie folgte ihm durch einen engen Schacht in die unterste der beiden besetzten Kapseln. Die Schotts, an denen sie vorbeistiegen, erregten ihre Aufmerksamkeit; gewaltige, stählerne Druckverschlüsse, die im Bruchteil einer Sekunde unbarmherzig zuschnappen konnten. In diesem schrecklichen terrestrischen Roman hatte es eine Passage über eine Maus gegeben, die in eine Falle spaziert war. Elam hatte noch nie eine Maus oder eine Mausefalle gesehen, doch sie glaubte zu wissen, wie sich das Tier gefühlt hatte.
Die Vorsichtsmaßnahmen im Mikrobiologischen Labor, die unter Freemans Aufsicht immer streng beachtet wurden, waren seit dem Unglück noch verschärft worden. Bis auf Weiteres waren alle Proben und Isolate isischer Fauna und Flora als erwiesene Gefährdungen fünften Grades zu behandeln. Im gesicherten Vorraum des Labors legte Elam den vorgeschriebenen Druckanzug samt Klimatornister an. Das Gleiche tat Li; mit dem Kopfgeschirr sah er seltsam aus: hohläugig, melancholisch. Er half ihr durch die vorbereitende Dusche, vorbei an ähnlichen Gestalten, Männern und Frauen, die an Glove-Boxen unterschiedlicher Komplexität arbeiteten, durch einen weiteren mit Luftschleusen gesicherten Vorraum in ein kleineres, unbesetztes Labor.
Elam spürte ein bisschen von der Panik, die sie damals empfunden hatte, als sie im Zuge ihrer Ausbildung zum ersten Mal ein irdisches Viren-Forschungslabor der Sicherheitsstufe fünf betreten hatte. Natürlich war es damals schlimmer gewesen. Sie war eine naive Kuiper-Studentin gewesen, aufgewachsen mit den Schauergeschichten des Crane-Clans über die Schreckensherrschaft der irdischen Seuchen. Die große Kluft zwischen Erde und Kuiper-Kolonien war immer eine biologische gewesen, viel tiefer als der Abgrund tatsächlich breit war. Die Kuiper-Clans hatten eine Quarantäne erzwungen: Jeder, der von der Erde kam, ob Heimkehrer oder Besucher, musste sich von allen terrestrischen Erregern bis hinunter zu Einzellern befreien lassen. Die kuipersche Dekontaminierung war eine mörderische Strapaze und dauerte so lange wie ein Flug vom inneren System ins äußere und zurück. Auf einer bewohnten Kuiperwelt war noch nie eine terrestrische Krankheit ausgebrochen; wäre es passiert, wäre sofort eine Quarantäne verhängt und die fragliche Siedlung dekontaminiert worden – ein Hygieneprotokoll, das auf der dicht besiedelten und größtenteils verarmten Erde undurchführbar gewesen wäre.
Elam war nach der Promotion zur Erde gegangen, so wie sich vielleicht ein engagierter Sozialarbeiter für ein Praktikum in der Leprastation entschieden hätte: mit Berührungsängsten, aber mit den besten Absichten. Gegen alle erdenklichen Mikrophagen, Prionen, Bakterien oder Viren geimpft, war sie trotzdem an einem klassischen ›Fieber unbekannten Ursprungs‹ erkrankt, das den ganzen ersten Monat ihrer Orientierungsphase angehalten hatte, bevor es einer Reihe von Leukozyten-Injektionen gewichen war. Bis dahin war sie noch nie krank gewesen. Krank zu sein, sich mit einem unsichtbaren Parasiten infiziert zu haben, das war… naja, noch schlimmer gewesen als sie gedacht hatte.
Danach hatte ihr der Einstieg in die keimfreie Arbeit schreckliche Angst gemacht. Die Universität von Madrid war eine Hochburg von Devices & Personnel, hier wimmelte es von extraterrestrischen Studenten, hauptsächlich Marsianern aber auch etlichen Kuiper-Leuten. Anfängern war es verboten, sich in einem Raum mit ansteckenden Agenzien aufzuhalten. Sie war schon mit Milzbrand bekannt gemacht worden, mit HIV, Nelson-Cahill 1 und 2, Leung-Dengue und dem ganzen Aufgebot an hämorrhagischen Retroviren – aber nur via Telepräsenz. Der Umgang mit Viren, wie ihn terrestrische Feldarbeit erforderte, war unendlich viel gefährlicher. Da gab es die ganzen alten Schreckgespenster der Erde, räuberische Wesen, subtiler und zählebiger als Dschungeltiere und genauso vital, Raubwesen, die immer noch die unterernährten Bevölkerungen von Afrika, Asien und Europa belauerten. Shepherd’s Crooks (* ein bestimmter Mikroorganismus) und regenbogenfarbene Eiweißschlingen, randvoll mit Tod.
Planetare Ökosysteme eben. Uralt und unglaublich feindselig. Das war Tams Biosphäre zum Anfassen, das eingerollte Erbe einer äonenlangen Evolution.
Doch am
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