Bios
für Humor hielt sich auf dem Gebiet in Grenzen.
»Setzen Sie sich«, sagte Degrandpre. »Geben Sie Obacht. Halten Sie nach Möglichkeit den Mund. Wenn Sie aber möchten, können Sie weiterhin aus dem Fenster blicken.«
Sie ignorierte seinen Sarkasmus und blickte aus dem Fenster.
Die Dämmerung hatte die verstreuten Inselketten der Westsee erreicht. Über einem aktiven Vulkan stand eine dunkle Wolke, die aussah wie eine Rußfahne. Die Große Kontinentalmasse drehte sich ins Blickfeld, ein dichter Teppich aus gemäßigten und borealen Wäldern. Hier glänzte ein uralter, blauer Kratersee im Sonnenlicht, dort ein schmaler Ausläufer polaren Eises. Wolkengipfel so weiß wie geschliffene Diamanten.
Und alles so tödlich wie Arsen.
Ihre neue Heimat.
*
Zwei Männer und eine Frau schlurften in den Raum und beschlagnahmten den Konferenztisch. Zoe blieb am Fenster stehen. Still sollte sie sein; das hätte er sich sparen können; überfüllte Zimmer fand sie beklemmend.
Kenyon Degrandpre stellte ihr die Neuankömmlinge als Tam Hayes, Elam Mather und Dieter Franklin vor, alle aus der Yambuku-Station, alle mit dem letzten Shuttle gekommen.
Zoe erkannte Hayes wieder, sie hatte ihn auf Fotos gesehen. Er war Leiter der Delta-Station und Seniorbiologe des Isis-Projekts – Senior dem Status, nicht dem Alter nach. Hayes war trotz seiner fünf Jahre auf Isis-Rotation noch relativ jung. Der Mann machte etwas her, dachte Zoe. Gut, er brauchte einen Haarschnitt. Der Bart erinnerte an ein Gewirr aus Kupferdraht. Hayes war das Klischee eines Wissenschaftlers aus dem Kuiper-Gürtel, ungepflegt eben. Die beiden anderen waren nicht besser.
Hayes streckte ihr die Hand hin. »Zoe Fisher! Wir haben gehofft, Sie anzutreffen.«
Zoe ergriff die Hand mit Widerwillen. Sie mochte keine Berührungen mit anderen Menschen. Hatte man Hayes nicht informiert oder war es ihm egal? Ihre Hand verschwand in seinem fleischigen Griff. »Dr. Hayes«, murmelte sie und verbarg ihr Unbehagen.
»Bitte, nennen Sie mich Tam. So viel ich weiß, werden wir zusammenarbeiten.«
»Sie können sich später noch austauschen«, sagte Degrandpre. Und zu Zoe: »Dr. Hayes und seine Mitarbeiter haben Archivmaterial gesichtet, das für den Transfer zur Erde vorgeschlagen wurde.«
Zoe verfolgte angestrengt den Wortwechsel zwischen ihm und Hayes und versuchte die einzelnen Streitpunkte herauszuhören. Die Partikelpaar-Verbindung zur Erde war eine derart enge Pipeline, mit derart strenger Bandbreitenbeschränkung, dass die Downloadkapazitäten heiß umkämpft waren und das fragliche Material sich einer Art Auslese unterziehen musste. Degrandpre war gleichsam der oberste Richter. Also war Hayes gekommen, der Leiter des Yambuku-Projekts, und lieferte eine engagierte Zusammenfassung des Datenpakets seiner Gruppe, derweil Degrandpre die nervtötende Rolle des Kartellbürokraten spielte: reserviert, gelangweilt, skeptisch. Er spielte mit dem Stift herum, schlug ein Bein übers andere und bat Hayes ein ums andere Mal, etwas zu erklären, das bis dahin völlig klar gewesen war. Schließlich sagte er: »Zeigen Sie mir das Bildmaterial.« Holografien und Fotos zu übertragen, war besonders teuer, aber sie hatten sozusagen die Funktion von ›Belegexemplaren‹ und waren in der heimatlichen Presse ziemlich beliebt.
Von oben entrollte sich ein großer zentraler Bildschirm.
Die Bilder im Yambuku-Paket waren Mikrografien von Viren, Bakterien, Prionen und biologisch aktiven Proteinketten, allesamt »OLB«, wie Hayes sich ausdrückte: noch ohne lateinischen Beinamen. Es gab auch eine Reihe herkömmlicher Fotografien zur Illustration eines Aufsatzes, den einer seiner Juniorbiologen in einem wissenschaftlichen Journal publizieren wollte. Degrandpre fragte: »Noch mehr explodierende Mäuse?«
Zoe hatte diesen Ausdruck noch nie gehört.
Hayes Miene verriet, dass er ihm missfiel. »Wir setzen lebende Tiere aus, ja.«
»Wenn ich bitten darf, Dr. Hayes.«
Hayes benutzte eine Fernsteuerung, um die Bilder aus dem Zentralspeicher der IOS abzurufen. Zoe bemerkte, wie Degrandpre sie mit einem neugierigen Blick bedachte. Wollte er sehen, wie sie reagierte? Wenn ja, warum?
Elam Mather, eine Frau mit vollem Gesicht über der grauen Laborkleidung, stand auf, um die Bilder zu kommentieren. Die kräftige Stimme klang verärgert.
»Das Konzept war, die frei vorkommenden Mikroorganismen von Isis mittels einer Serie von Mikronfiltern zu sortieren, um ihre Tödlichkeit und ihre Vorgehensweise
Weitere Kostenlose Bücher