Birne sucht Helene
beherrschte (»Schütteln für Fortgeschrittene« – Fish-Mac hatte es zuerst für ein Seminar zur richtigen Toilettenbenutzung gehalten).
Tine ließ ihn etliche Gläser füllen, die sie dann an die umstehenden Damen verteilte. Plötzlich entstand einer dieser kurzen Momente der Stille, die in Discos so selten vorkamen. Das gerade aufgelegte Lied hatte einen Break, und Paul hörte dadurch, was die Frau mit dem tiefen Dekolleté zu Tine sagte. Die Worte waren für ihn wie eine eiskalte Dusche. Die Frau sagte nicht etwa: »Ihr passt richtig gut zusammen«, sondern: »Dein Mann passt richtig gut zu dir.«
Und da wurde es ihm klar.
Erwar ein Accessoire. Tine hatte ihren Schmuck, ihre Tasche, ihre Sonnenbrille – und ihren Mann. Jetzt erst fiel Paul auf, dass farblich alles aufeinander abgestimmt war. Inklusive ihm. Zuerst war er ihr Koch-Accessoire gewesen, dann ihr Verbrecher-Accessoire und immer ihr Freund- und Sex-Accessoire. Wie praktisch. Er war unglaublich praktisch. Das Schweizer Taschenmesser unter den Lebenspartnern.
»Machst du uns noch einen? Was ganz Leichtes.« Sie gab ihm einen Schmatzer und fuhr durch seine Haare. Aber nicht aus Zärtlichkeit, sondern um ihr Accessoire in Ordnung zu bringen.
Er würde Schluss machen. Jetzt gleich, Urlaub hin oder her. Wenn man begriff, dass man mit einem Menschen nicht den Rest des Lebens verbringen wollte, dann sollte der Rest des Lebens sofort beginnen. Doch er wollte Tine nicht blamieren. Das war nicht seine Art. Sie war kein schlechter Mensch, nur leider so oberflächlich wie ein Saucenspiegel.
Deshalb beugte er sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: »Tine, es hat keinen Sinn mehr, wir sollten uns trennen. Du bist eine tolle Frau, aber ich passe einfach nicht zu dir. Ich werd jetzt gehen. Tut mir leid, dass du es hier erfahren musstest.«
Tine zuckte keinen Moment lang mit der Wimper. Sie hatte sich perfekt im Griff und lächelte, als habe er ihr etwas Neckisches erzählt. »Doch nicht vor den anderen! Aber geh schon mal vor in unser Bettchen, ich komm gleich nach. Und heute möchte ich verwöhnt werden.«
Sie erntete bewundernde Blicke der versammelten Discobesucherinnen.
Paul schlief längst, als Tine in dieser Nacht zurückkehrte.
Die ganze Heimreise am nächsten Tag sprachen sie kein Wort miteinander. Erst einige Zeit später erfuhr Paul, dass Tine an diesem Abend zum ersten Mal in ihrem Leben verlassen worden war.
Sonst hatte sie immer Schluss gemacht.
Birne sucht Helene. Beamter, 29 J./ 1 , 78 , ist ein Idiot. Denn er brachte nicht nur ein Lamm zum Weinen, sondern auch eine Frau und damit sich selbst. Ein kleiner, blöder Fehler. Aber nicht wiedergutzumachen. Ist das fair? Was ist schon fair? Das Leben ganz bestimmt nicht. Fragen Sie Prinzessin Diana.
Ich weiß, dass mich diese vielen Zeilen extra kosten werden, aber was soll’s. Vielleicht kann mir einer eine Antwort geben. Was macht ein Mann, wenn er die Frau seines Lebens verloren hat? Eine andere suchen? Wäre das nicht, als lebte man eine Lüge? Oder sollte er dieser einfach reinen Wein einschenken? Aber wie könnte sie ihn dann noch lieben, wenn sie wüsste, dass sie nur die zweite Wahl wäre? Oder soll er Mönch in einem tibetischen Kloster werden oder Eremit in einem schönen hohlen Baum? Denn seien wir mal ehrlich: Keine Frau der Welt kann mit einem Traum konkurrieren. Er würde über jeder neuen Beziehung schweben, sie zerstören.
Ich weiß, was am besten wäre: die Zeit zurückdrehen und alles löschen! Sie einfach nie getroffen haben. Aber dann wären auch die goldenen Momente weg, die wie polierter Schmuck in meinem dummen, kleinen Herzen liegen. Nur vier Küsse, aber was für welche! Und sie werden in der Erinnerung immer besser, wie großer Wein (keiner aus Litauen).
Sieht irgendjemand einen Ausweg?
Eine Liebe kann man nur durch eine neue Liebe vergessen? Nein, eine Liebe vergisst man nie. Das ist das Schöne und das Schreckliche daran. Jede Liebe bleibt uns ein Leben lang treu.
Und man kann nur lernen, damit zu leben. Die Wunden vernarben, doch sie verschwinden nie. Gott, ist das ein elend selbstmitleidiges Geschwafel. Da könnte man ja kotzen. Aber jetzt ist es endlich raus. Tschüss, adieu. Birne sucht nicht mehr. 965938 Chiffredienst, 50590 Köln. -Chiffre 0900 / 5000958 - 270313 .
ZEHNTERGANG
Birne Helene
Paul starrte auf den Riesenstapel Briefe, den ihm die Anzeigentante übergeben hatte. Jetzt reichte sie ihm eine große Plastiktüte. »Damit Sie alles heil nach
Weitere Kostenlose Bücher