Birne sucht Helene
verstehen?« Er ging zum Panoramafenster und stellte die Lamellen leicht schief, damit die Sonne Eli nicht blendete, und setzte sich wieder ihr gegenüber. Doch sie stand auf, denn Eli wollte David nicht ins Gesicht blicken, wenn sie ihm nun ihr wahres, verrücktes Innerstes zeigte.
»Ich habe eine Glückszahl.« Endlich war es raus.
»Hat doch jeder.«
»Nein,nicht so was wie vier oder neun oder von mir aus elf. Meine ist 270313 .« Eli sagte es nicht einfach, sie sprach die Zahl aus, als sei jede einzelne Ziffer wie ein Diamant, hätte unglaubliches Gewicht und unfassbaren Wert.
David wurde still, und Eli erzählte weiter, den Blick auf den ruhig fließenden Rhein gerichtet.
»Als Baby hatte ich einen schweren Herzklappenfehler und musste operiert werden. Meine Chancen standen nicht einmal fifty-fifty. Am 27 . 3 . um Punkt 13 Uhr war die OP beendet. Da wurde ich … noch mal geboren. Da fing mein Leben eigentlich erst richtig an. Wobei meine Eltern noch jahrelang Angst hatten, dass mein Herz nicht stark genug sei. Davon habe ich natürlich nichts gewusst, ich war ja noch viel zu klein. Und meine Eltern wollten es mir auch nicht erzählen, so als wäre es ein schlechtes Omen. Erst Jahre später kam es heraus. Das war nach meinem Unfall, als ich aus dem Fenster gefallen bin. Vierter Stock, und es ist nichts passiert. Gar nichts. Keine Rippe gebrochen, kein Fuß gestaucht. Nur ein verwüstetes Kräuterbeet. Und es war der 27 ., um 3 : 13 Uhr. Und zwar ganz genau. Ich bin nämlich auf meine Armbanduhr gefallen, und die ist dabei stehengeblieben.« Eli ging zu ihrer Handtasche, zog die Uhr heraus und drückte sie David in die Hand. »Da haben meine Eltern mir alles erzählt. Das klingt total unglaublich, ich weiß, es kann natürlich alles auch nur ein Zufall sein, aber seitdem begleiten mich die Zahlen, und alles, was gut war, alles, hörst du, hing irgendwie mit ihnen zusammen. Mal waren sämtliche Zahlen da, mal tauchten nur ein paar auf, aber irgendwo hab ich sie immer gefunden.«
David ließ sie keine Luft holen. »Und bei mir?«
Eli drehte sich zu ihm. »Es ist alles nur Blödsinn. Ich muss jetzt endlich erwachsen werden. Das ist ja wie bei einer Zwangsneurotikerin.«
»Also nicht«, sagte David.
»Jetzthältst du mich für eine Spinnerin, was? Ich würde das verstehen. Als ich es meiner Schwester erzählt habe, lachte sie mich einfach aus.«
»Ich bin sehr froh, dass du dich mir anvertraut hast.« David gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. »Ich kontrolliere zum Beispiel immer genau drei Mal, ob ich abgeschlossen habe. Jedes Mal. Ich kann nicht anders. Jeder hat seine Macken. Aber du hast recht, man darf sich davon nicht beherrschen lassen.«
»Genau!«
David war perfekt. Er war nicht die große Liebe, aber die gab es eh nicht. Früher wurden Ehen auch arrangiert – und hielten ein Leben lang. Manchmal gab es Liebe auf den ersten Blick, ein andermal glich sie einem Baum, der langsam wuchs und irgendwann Früchte trug. Und da man so lang auf diese warten musste, schmeckten sie umso köstlicher.
»Dann kann ich dir ja jetzt auch mein Geheimnis verraten.« David fuhr sich über das Kinn. »Ist aber etwas pikant.«
»Ach so? Immer raus damit. So was muss ich vor der Hochzeit wissen.«
David ging schnellen Schrittes ins Schlafzimmer, zog einen großen, flachen Karton aus dem provisorischen Schrank und packte den Inhalt stolz aus. »Ein Spiegel. Der soll über’s Bett. Den Traum hatte ich schon als kleiner Junge.«
Eli umarmte David von hinten und drückte sich ganz fest an ihn. »Ich werde euch kleine Jungs nie verstehen.«
Die Insel Samos bestand im Grunde aus einer einzigen Gebirgskette, weswegen überall Platzmangel herrschte. Sogar die Landebahn des Flughafens hatten sie zu kurz gebaut. Auch die Strände waren auf ihre Art gebirgig, sie bestanden nämlich meist aus Kieseln – winzigen Babybergen also. Selbst die Sehenswürdigkeiten bestanden aus Steinen: alles Ruinen. Aber davon hatte Paul eh keinezu Gesicht bekommen. Tine wollte nur Strand (sonnen, schwimmen, tauchen, surfen), Sauna, Massage, Essen und tanzen, tanzen, tanzen. Sie war wie ein Duracell-Häschen mit durchgeschmorter Verdrahtung. Es gab nie eine Pause.
Doch was Paul am meisten störte: Sie hatte Vollpension gebucht. Tine wollte nicht, dass er für sie kochte. Er kam sich vor wie Michael Schumacher, der im Auto auf den Kindersitz musste. Die Liebe mit Tine war wie ein Teig, der nicht aufging. Früher hatte Paul sie aus
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