Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
trug ihren Lippenstift neu auf. Im Spiegel, in dem Neonlicht, sah sie bleich aus – das Bild einer Frau, die etwas getan hat, auf das sie nicht stolz ist.
Bryan entdeckte sie, sobald sie den Saal betrat; er löste sich aus einem Kreis lachender Angestellter und kam zu ihr her übergetrabt. Auf dem Kopf trug er eine Nikolausmütze, deren Zipfel ihm aufs Ohr herunterhing und bei jeder seiner Bewegungen hochhüpfte. Lang und schlaksig, wie er war, sah er damit doppelt läppisch aus. Sein Gesichtsausdruck war beflissen und tölpelhaft zugleich.
Wie siehst du denn aus?, fragte sie.
Ich weiß, ich weiß – die Kassierer haben sie mir geschenkt. Und einen sehr schönen Kugelschreiber. Er küsste sie auf den Scheitel. Du bist ganz kalt, sagte er, als er sich aufrichtete.
Ich war ein bisschen Luft schnappen.
Seine Lippen wurden schmal. Oh-oh. Du hast geraucht. Ich riech’s doch.
Sie versuchte es als Scherz abzutun: Ich hab keine Ahnung, wovon du redest.
Schatz, du hattest doch so gut durchgehalten -
Na wunderbar – sie hätte ihm eine reinhauen können. Bryan, fang jetzt nicht damit an.
Er sah sie an, bestürzt. Komm, Dana, sagte er. Ich will dir doch nur helfen.
Was würde er tun, wenn sie ihm eine Szene machte, hier und jetzt? Die Weihnachtsfeier war sein Herzenskind, eine seiner großen Reformen bei Sentinel Savings: Wir leben zu sehr nebeneinander her. Nur wo der Zusammenhalt stimmt, stimmt auch die Leistung.
Aber was konnte Bryan für ihre Wut, was konnte Bryan für irgendetwas? Wer hatte sich denn von einem seiner Angestellten betatschen lassen?
Ehe sie etwas erwidern konnte, schaute Bryan über ihre Schulter, und seine Miene hellte sich auf. Dana drehte sich um und sah zu ihrem Schrecken Jimmy und April, die auf sie zukamen, die Mäntel überm Arm.
He, ihr zwei, sagte Bryan. Ihr geht doch nicht etwa schon?
Sie muss morgen früh raus, sagte Jimmy mit mildem Lächeln ins Leere und drückte Aprils Schulter. Aprils Augen waren glitzrig vom Alkohol; sie lehnte sich an Jimmys Brust, als hätte er sie dauerhaft so hingebogen. An ihren Ohren, bemerkte Dana, baumelten Rentierohrringe mit kleinen roten Steinchen als Schnauzen.
Weißt du, was ich rausgefunden habe?, fragte Bryan Dana strahlend. Die beiden Hübschen hier sind verlobt.
Seit einer Woche, sagte April. Sie hielt die Hand in die Höhe, und Dana, die an sich halten musste, um Jimmy nicht fassungslos anzustarren, tat so, als würde sie den Ring begutachten.
Der ist aber schön, sagte Dana.
Ach, Jimmy, sagte Bryan, können wir vielleicht ganz kurz was besprechen?
Aber nichts Geschäftliches?
Nur ganz kurz.
Der Mann ist ein Phänomen, sagte Jimmy, zu beiden Frauen, und plinkerte Dana zu. Dann gingen er und Bryan ein paar Schritte zur Seite, wo Bryan gestenreich zu reden begann.
Er ist so lustig, sagte April. Dana war sich nicht sicher, welchen der Männer sie meinte.
Und?, fragte Dana – irgendetwas musste sie schließlich sagen. Gibt es schon einen Termin?
Jimmy, sechs, sieben Meter entfernt, ließ den Blick über sie gleiten. Er legte es darauf an! Mit einem Wort könnte sie ihn bloßstellen. Sie sollte es tun.
April fing bei ihrer Frage zu lächeln an und zog das Näschen kraus.
Im Juni, sagte sie.
Also nicht mehr lang hin, sagte Dana mit zugeschnürter Kehle. Sie versuchte Mitleid zu empfinden – das arme Mädchen ahnte nichts. Jimmy hatte sie wahrscheinlich Dutzende von Malen betrogen. Oder vielleicht wusste April Bescheid, vielleicht klammerte sie sich an die leere Hoffnung, sie könnte ihn ändern, ihn einfangen mit einem Ring.
Aber Dana mochte nicht lange bei Aprils Zukunft verweilen, bei all dem Schmerz, der sie womöglich erwartete. Nein. April war hübsch und üppig, und wenn Dana sie ansah, dann sah sie April vor sich, wie sie Jimmy küsste, April, nackt in Jimmys Armen in all ihrer Cheerleader-Herrlichkeit, ihre beiden Körper in ein bernsteinfarbenes Licht getaucht wie in Filmen. Wenn er das alles hatte – was wollte er dann von Dana?
Er wollte sie, wie sie sehr wohl wusste, weil sie anders war: klein und dunkel und schmal. Und natürlich, weil sie tabu war.
Jimmy schwärmt richtig von Ihrem Mann, hörte sie April sagen. Er hat sich heute Abend ein bisschen mit mir unterhalten. Er war so nett. April beugte sich zu Dana vor und legte ihr die Hand aufs Handgelenk. Ihr Atem roch nach Wein. Sie sagte: Wir haben beide solches Glück.
Dana sah sie nur an.
Kurz darauf kamen Jimmy und Bryan wieder zu ihnen zurück; Bryan lachte
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