Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
versuchte, empört zu sein, aber das Gefühl wollte sich nicht so recht einstellen. Dana war siebenundzwanzig – nicht eben alt -, aber seit zwei, drei Jahren, das ließ sich nicht leugnen, erschienen Leute wie Jimmy und April ihr zunehmend jünger – den Highschool-Schülern näher, die Dana in Mathematik unterrichtete, als Leuten wie Bryan und ihr. Durch nichts definiert als die Art, sich zu geben. Alle im Saal waren entweder zu jung und tranken zu viel, oder sie waren nicht mehr jung und tranken zu viel, weil sie dachten, das mache sie jünger. Jimmy mochte kaum mehr sein als ein Junge in einem Erwachsenenkörper, aber wenigstens gab er nicht vor, jemand zu sein, der er nicht war.
Und was immer sonst an ihm auszusetzen sein mochte: Seinen Erwachsenenkörper wusste Dana sehr wohl zu würdigen.
Im Augenblick, als sie das dachte, summte zu ihrer Linken die Automatiktür, und Jimmy höchstselbst erschien – lehnte den Oberkörper nach draußen, reckte den Hals nach links und nach rechts. Dana erstarrte – ihre Nische war ganz knapp au ßerhalb seines Blickfeldes. Aber Jimmy trat trotzdem ins Freie und zog sich im Gehen den Mantel über. Er drehte einen Halbkreis, dann sah er sie. Er grinste, spielte den Überraschten.
Na so was, Dana, sagte er. Er deutete auf ihre Hand. Sie haben schon so schuldbewusst geguckt vorhin. Ich vergehe. Darf ich eine schnorren?
Sie hätte sagen sollen, dass sie schon fertig war – denn das war sie. Stattdessen fragte sie: Wieso schuldbewusst?, und streckte ihm die Packung hin.
Jimmy lachte und nahm sich eine Zigarette. Na ja, Bryan hat uns allen erzählt, dass Sie aufgehört haben. Er ist mächtig stolz auf Sie.
Dana war nicht überrascht, das zu hören, aber froh machte es sie nicht.
Unser Geheimnis, einverstanden?, sagte sie.
Jimmy schob sich die Zigarette zwischen die Lippen und klopfte seine Manteltaschen ab. Keine Angst, ich bin auch incognito. April würde mir ganz schön aufs Dach steigen.
Dana hielt ihm ihr Feuerzeug hin, aber Jimmy sagte: Hab meins schon. Wahrscheinlich hatte er auch seine eigenen Zigaretten. Er steckte sich seine Zigarette an, zog und seufzte. Dann lehnte er sich behaglich an die Ziegelmauer.
Wissen Sie was, sagte er, ich bin froh, dass Sie heute hier sind.
Er sah sie von der Seite an und stieß eine Rauchwolke aus, wieder mit diesem halben Lächeln. Welche Chuzpe!
Ach ja?, sagte sie.
Er lachte. Doch, im Ernst. Und nicht nur, weil dieses Kleid der absolute Hammer ist.
Dana traute ihren Ohren nicht. Jimmy zielte direkt auf ihre Eitelkeit, ihre so frisch verletzte Eitelkeit. Sie hatte das Kleid vor ein paar Tagen entdeckt, bei einem spontanen Bummel durch die Boutiquen – es entdeckt und, mit einem kleinen Prickeln der Erregung, festgestellt, wie gut sie darin aussah. Das Kleid war schwarz, mit langen, durchsichtigen Ärmeln und einem knöchellangen Rock, der bis zum Oberschenkel herauf geschlitzt war. Vielleicht nicht ganz passend für eine Weihnachtsfeier, aber der Schnitt und die Farbe schmeichelten ihr, betonten ihre Vorzüge. Sie hatte gefastet, ihren Bauch ein wenig gestrafft; in dem Kleid erschien all die Schufterei wenigstens nicht umsonst. In die Schule trug sie nur vernünftige Kleider; eine Gelegenheit, so gut auszusehen, hatte sie vielleicht ein- oder zweimal im Jahr.
Weshalb fiel sie also aus allen Wolken, weil jemand es bemerkte?
Und … hatte sie nicht genau das gewollt? Hatte sie sich, wenn sie ehrlich mit sich war, nicht wiederholt ausgemalt, dass Fremde sie darin sähen? Sie bewunderten. Es ihr sogar auszogen. Dieser gutaussehende Mann zum Beispiel, der einen Gang weiter Krawatten gekauft hatte – den hatte sie im Spiegel beim Wegsehen ertappt, als sie sich das Kleid angehalten hatte. Oder – doch, auch das hatte sie gedacht – ein Mann wie Jimmy. Ein Mann, der der Frau seines Chefs zuzwinkerte, wenn sie in Jeans und Turnschuhen in die Bank kam. Wie mochte ein Mann wie Jimmy sie in einem solchen Kleid finden?
Jetzt wusste sie es. Sie hielt den Blick auf den Parkplatz gerichtet.
Danke, sagte sie mit betont neutraler Stimme. Wo ist Ihre Freundin?
Jimmy grinste, als hätte Dana ihm ein wunderbares Geschenk gemacht.
Drinnen. Für kleine Mädchen. Sie musste anstehen – und ich hab die Gelegenheit beim Schopf gepackt.
Dana drückte ihren Zigarettenstummel aus. Was machte sie hier bei der Weihnachtsfeier? Warum stand sie nicht vor einem Collegewohnheim und lauschte der Musik, die aus den Boxen auf dem Fensterbrett plärrte,
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