Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
gemacht, sagte sie. Als ich schon fast ohnmächtig war.
Scheiße, Mel. Er sah wieder auf die Narbe. Wann?
Ganz kurz bevor ich nach Chicago gekommen bin. Vor zwei Jahren.
Warum?
Sie verzog das Gesicht ein bisschen, und er machte sich klar, dass das ähnlich klingen musste wie War es im Gefängnis schlimm?
Ich war unglücklich, sagte sie. Wie du dir jetzt wahrscheinlich schon gedacht hast.
Sie hielt sich die Handgelenke vors Gesicht, musterte die Narben, als wären es Armreifen, die sie vielleicht kaufen wollte.
Erzählst du es mir?, fragte Brad. Ich meine, wenn du lieber nicht möchtest -
Sie beugte sich zu ihm vor und küsste ihn. Sanft. Dann stieg sie aus dem Bett und ging hinüber zur Kommode.
Tut mir leid, sagte sie und hielt einen Joint hoch. Dafür muss ich erst high sein.
Kein Problem.
Mel zündete den Joint an und hockte sich im Schneidersitz auf das Fußende des Bettes, einen Aschenbecher neben sich. Sie nahm einen tiefen Zug, schloss die Augen dabei. Zum Rauch-Ausblasen wandte sie den Kopf weg von ihm. Brad kämpfte den Drang nieder, die Hand nach dem Joint auszustrecken. Stattdessen sah er zu, wie Mels nackter weißer Brustkorb sich dehnte und wieder zusammenzog, wie die Schatten zwischen ihren Rippen sich vertieften. In ihre Augen trat ein weicher Schimmer.
Sie erzählte ihm von ihrem Ex-Freund Andy, Andrew – und Brad merkte gleich, schon an der Art, wie Mel den Namen sagte, dass sie ihn noch liebte, ihn immer lieben würde; eigentlich konnte sie sich den Rest der Geschichte gleich schenken. Andrew hätte ebensogut nebenan sein können, auf und ab gehend und die Sekunden zählend, bis Mels Wachsamkeit nachließ und er hereinrumpeln konnte.
Sie waren auf benachbarte High Schools gegangen, in Kalamazoo. Mel hatte ihn bei einem Disco-Abend kennengelernt, als sie im vorletzten und Andy im letzten Jahr war; er war der Freund eines Freundes von ihr. Er tanzte miserabel, aber er war – sagte Mel – dermaßen hübsch, dass er sich so ziemlich alles leisten konnte. Er hatte diese grässliche, aufgedonnerte Blondine dabei, und sobald Mel die zwei miteinander sah – sah, wie die Blonde ihre Titten rausstreckte und wie Andrew mit so einem Grinsen darauf herunterglotzte -, wäre sie schlagartig beinahe geplatzt vor Wut.
Wieso?, fragte er.
Ach, ich war ein kleines graues Sonntagsschulmäuschen damals, sagte sie.
Du?
Ja. Ich bin in Collegeschuhen rumgelaufen. Ich hab Klarinette gespielt.
Du hättest wahrscheinlich kein Wort mit mir geredet, oder?
Sie blies süßen Rauch aus. Ach, sagte sie, aber gebetet hätte ich für dich.
Wie auch immer: Mel ging zusammen mit ein paar von ihren Freundinnen ebenfalls auf die Tanzfläche, und irgendwann tanzte sie gleich neben Andrew, und sie, na ja, sie legte sich ziemlich ins Zeug -
So wie heute Abend?, fragte Brad.
Mel wurde rot. Hör auf!
- weil Mel ihm nämlich zeigen wollte, dass man auch tanzen konnte, ohne sein Becken an anderer Leute Becken zu reiben. Und Andrew bemerkte es, und die Blonde bemerkte es, und Andrew tanzte nur noch für Mel, und sie tanzte für ihn – und dann kam ein langsamer Song, und Andrew nahm ihre Hand und zog sie an sich heran. Und sie war nach wie vor wütend auf ihn, aber er war so hübsch, und während sie Schieber tanzten, raunte er ihr leise ins Ohr, wie phantastisch sie tanzte, und sie ertappte sich dabei, dass sie über seine Witze lachte, oder vielleicht eher darüber, wie unwitzig er eigentlich war. Wie viel weniger cool, als er glaubte. Und dann spürte sie, dass er unter seiner Jeans einen stehen hatte, spürte den Druck gegen ihren Bauch – und zu ihrem Entsetzen merkte sie, dass es ihr gefiel, und am Ende des Abends fragte er, ob er sie anrufen dürfte, und sie wusste, sie hätte nein sagen müssen, aber -
Aber du konntest einfach nicht, sagte Brad.
Tja, sagte Mel und nahm einen Zug. Er wusste, dass ich ja sagen würde. Andrew hat genau gewusst, was bei mir zieht. Stell dir vor: Bei unserer ersten Verabredung hat er mir gesagt, er fände mich deshalb so schön, weil ich immer so traurig aussehen würde. Ich meine, was soll denn das für ein Kompliment sein! Aber es hat gewirkt. Es ging mir runter wie nichts.
Und warst du?
Was?
Warst du immer traurig?
Schon, sagte Mel. Eigentlich mein ganzes Leben. Aber egal -
Andrew rief sie an, und am Wochenende holte er sie mit einem schönen Auto ab, und sie fuhren Hamburger essen. Sie unterhielten sich über Tennis, worin sie beide gut waren, und hinterher brachte er
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