Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
Psychologen und versicherte reihum, dass ihr nichts fehlte, dass sie vom Drogen-Nehmen abgekommen war, und vom Sterben-Wollen auch. Und jetzt, wo sie kein Koks mehr im Blut hatte – keinen Andy mehr -, fühlte sie sich tatsächlich besser. Meistens. Nach einem Monat wurde sie zu ihren Eltern zurückgeschickt. Sie wechselte das College. Ihre Eltern wollten, dass sie näher an zu Hause weiterstudierte, aber das, sagte sie, hätte allen Ernstes ihren Tod bedeutet. Sie fühlte sich endlich frei. Sie wollte an die University of Southern California gehen – aber nach wochenlangen Diskussionen setzten ihre Eltern DePaul durch, wo einer ihrer Onkel unterrichtete und wo sie Mel von Anfang an hatten hinschicken wollen.
Tja, sagte sie, und hier bin ich. Wieder wie neu.
Brad sagte: Und …
Gut, ja, ich kiffe. Ich hab diese, was weiß ich, diese Panikattacken. Aber keine härteren Sachen.
Nein, ich meine – kommt das jetzt immer noch vor? Dass du …
Dass ich mich umbringen will?
Ja.
Sie stand auf, ging wieder hinüber an die andere Wand, zu derselben Schublade, aus der sie auch den Joint zum Vorschein gebracht hatte, und kam mit einer braunen Arzneiflasche voller Tabletten zurück. Sie ließ sich neben Brad auf den Bauch fallen und setzte die Flasche auf seiner Brust ab.
Was ist das?
Mein Celexa, sagte sie. Das hab ich gegen meine Angstanfälle verschrieben gekriegt, aber ich hasse es. Ich hab’s gebunkert. Wenn es je wieder nötig wird, dann soll es auch hinhauen.
Und meinst du, es wird nötig?
Nach einer langen Zeit sagte sie: Wahrscheinlich nicht. Dran denken tu ich andauernd, aber – nein, keine Sorge. Ich mein’s nicht so.
Dann schmeiß das Zeug weg.
Mel nahm die Flasche und hielt sie sich vor die Augen. Sie sagte: Nein, ich find’s irgendwie gut, es zu haben. Verstehst du? Da kann ich mich testen. Wenn es mir mal schlecht geht, hol ich’s raus und schaue es an. Und dann frage ich mich: Wie schlimm ist es wirklich? Und bisher war’s nie schlimm genug.
Ich find das gruslig.
Sie machte eine tiefe Stimme und sprach mit russischem Akzent. Alles in Griff. Ich hab Kraft von ein Stier.
Mel, du spinnst echt.
Sie sagte: Ich hab dir das nicht erzählt, damit du mich, was weiß ich, gesundpäppelst. Oder mich bemitleidest.
Nein. Er strich mit dem Finger ihr Schlüsselbein entlang. Ich versuch bloß, aus dir schlau zu werden. Du wirkst so … gut drauf.
Sie grinste und wälzte sich auf ihn und küsste ihn.
Wer sagt, dass ich das nicht bin?
V.
Als Brad mitten in ihrer zweiten Nacht in der Hütte aufwacht, sieht er nicht die Hand vor Augen, aber er hört ein Geräusch: ein ganz leichtes Klopfen, gefolgt von einem Heulen.
Im ersten Moment ist er verwirrt. Genau diese selben Geräusche hat er gerade eben im Traum gehört – er und Mel lagen in Mels Bett, und das obere Stockwerk des Hauses war voller Wölfe, heulende Wölfe, deren Krallen auf den Dielen über ihren Köpfen tappten.
Er blinzelt ins Dunkel, erinnert sich: Mel ist bei ihm, und sie sind in Michigan, in der kleinen Hütte. In ihrem improvisierten Zelt. Und es ist kalt. Kalt, wie er es noch nie erlebt hat – so kalt, dass seine Backen sich anfühlen wie zwei Steinplatten und er kaum die Finger abbiegen kann. Und das Heulen, das ist Wind – furchtbarer Wind, unter dem die Hüttenwände ächzen und die Fenster in ihren Rahmen klappern.
Brad löst sich von Mel – sie murmelt etwas, schlägt mit der Hand auf die leere Stelle auf der Matratze – und kriecht aus dem Zelt. Er greift sich die Taschenlampe und folgt ihrem Strahl auf steifen Beinen zur Tür.
Als er sie öffnet, fährt der Wind herein, so eisig und schnell, dass Brad fast meint, von Messern durchschnitten zu werden. Und – er traut seinen Augen kaum – es ist Schnee dabei, Schneeflocken pieken ihn in die Wangen, wirbeln durch den Lichtkegel der Taschenlampe. Er richtet ihn auf die Veranda – und sieht, dass der Schnee dort schon mehrere Zentimeter hoch liegt und an den Außenwänden noch höher.
Er läuft durchs Zimmer zurück und rüttelt Mel wach.
Was ist?
Es schneit.
Was?
Sie klettert an ihm vorbei, um es mit eigenen Augen zu sehen. Während sie weg ist, schaltet Brad den Grill an und hält seine steifen Hände über die Flämmchen, bis sie kribbeln. Er ist so durchgefroren, dass er kaum denken kann.
Mel kommt ins Zelt zurückgekrabbelt.
Hast du auf das Thermometer geschaut?, fragt sie – sie meint das große runde, das an einem Nagel an einem der Verandabalken
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