Bis ans Ende der Welt
Mädchen. Viel, viel frommer als viele mir bekannte katholische Christen und dazu noch voller kindlicher Unschuld. Den Pilgersegen hätte sie verdient, und er hätte ihr ihn auch geben können. Woanders segnete man allen Ernstes Autos. Wäre ich der Pfarrer, ich hätte sie auf der Stelle getauft und vielleicht so ihre Seele gerettet. Schließlich wissen wir weder den Tag noch die Stunde.
Nach dem Gottesdienst saßen wir unschlüssig auf der Kirchentreppe, bis es anfing zu regnen, und wir wieder in die Kirche zogen. Kirche als Aufenthaltsraum für die Pilger. Warum nicht? Das habe ich unterwegs häufig erlebt. Vor Sonne und Regen war die Kirche ein sicherer Unterschlupf. Nun saßen wir verloren da, und sahen der abziehenden Gemeinde nach. Keiner von ihnen lud uns zu sich ein. Dabei wäre der Herr mitgekommen. Aber das haben die nicht wissen können, für sie war er unsichtbar. Sie sahen nur drei frierende, fußlahme Pilger mit fragwürdiger religiöser Abstammung. Also verzogen wir uns nach einer Weile in die Bar am Rathausplatz und aßen dort eine Omelette mit Kartoffeln. Wir tranken etwas und hatten gute Zeit, bis die Bremer vorbeikamen und ein schönes Foto von uns machten. Der Herr hat sie geschickt, weil niemand von uns eine Kamera hatte, und mir bliebe sonst nichts, als nur eine nebelhafte Erinnerung. Ich glaube, wir waren ziemlich die einzigen, die keine Kamera bei sich hatten. Später tauchte noch ein Trupp wandernder Rekruten auf, schnupperte eine Weile um das Gefallenendenkmal herum, ließen uns aber in Ruhe. Nach dem gestrigen Tag sendeten die Mädchen wohl keine passenden Signale aus. Elisabeth ging gar so weit zu kritisieren, sie hätten viel zu kurzes Haar. Hatten sie überhaupt nicht. Aus meiner Sicht waren es recht ansehnliche Burschen, gegen die ich bei Mädels wie den meinigen nie und nimmer eine Chance hätte haben dürfen. Vor lauter Übermut über so viel Disziplin und Zurückhaltung überredete Sissi Joanna, die Übernachtungsgebühr für heute zu schwänzen. Schließlich sei es nicht unsere Schuld, wenn wir statt in der Herberge, hier in der Bar Geld ausgeben mußten. Gut gebrüllt, Löwe. Für Joanna fand ich es in Ordnung, sie hatte ja nichts, aber besser wäre es, wenn wir für sie zusammengelegt hätten. Ich für meine Person hatte jedenfalls nicht vor, mich mit einer sinnlosen Schuld zu belasten und ließ das Geld später — wie angewiesen — im Briefkasten zurück. Eigentlich war es ja gleich, die verkauften Aktien reichten bestimmt bis nach Santiago.
Saint-Côme-d’Olt, km 1456
Am nächsten Tag machten wir uns relativ spät zu viert auf den Weg. Monika marschierte mit uns, ihr kranker Mann nahm lieber das Taxi. Das war vernünftig. Er hätte Joanna gleich mitnehmen sollen. Sie konnte auch ohne Gepäck nicht viel besser gehen als bisher. Aber sie wäre nicht mitgefahren. Man pilgert ja nicht mit dem Taxi. Sie war sehr tapfer, obwohl der Weg erst hundert Höhenmeter steil bergauf ging. Wenn Sissi da war, war sie glücklich, plapperte leicht dahin und lachte. Sissi der Darling, man gewöhnte sich an sie, man liebte sie. Aber Sissi das Fohlen brauchte Auslauf, lief bald wieder weit voraus, und Joanna war auf mich allein angewiesen. Jemand mußte sich um sie kümmern. Auch wenn er lieber bei den Fohlen geblieben wäre. Doch ich konnte sie nicht einmal halb so glücklich machen wie Elisabeth, obwohl ich mir alle Mühe gab. Bald weinte sie wieder. Als Sissi das Fohlen wieder einmal vorbei galoppierte, lief ich einfach davon, nun konnte sie nicht weg. Nach einer Weile lachte Joanna wieder, als ob es gar keinen Kummer auf der Welt gäbe. Ich behielt sie im Auge und kehrte bald zurück, aber diesmal blieb Elisabeth bei uns. Ich hatte das merkwürdige Gefühl, daß es kein Zufall war. Sie war sehr feinfühlig und aufmerksam, immer liefen irgendwelche seltsame Gedankenströme hin und her. Und mein Französisch war nicht gut genug, um alles mit irgendeinem altklugen, hinterhältigen Geschwätz zu verderben.
Die Siesta hielten wir auf einer herrlichen Wiese direkt am Weg ab. Wir hatten Zeit, denn die heutige Etappe war mit sechzehn Kilometern lächerlich kurz. Zumindest für mich und Elisabeth. Für Joanna und Monika war es die optimale Leistung. Anderthalb Stunden Blödeln, Lesen und Faulenzen schienen angemessen. Den anderen Pilgern waren wir wohl kein gutes Beispiel. Meist zogen sie verschwitzt auf ihren Blasen dahin wie François aus Quebec. Er lachte in seiner Hilflosigkeit strahlend,
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