Bis ans Ende der Welt
Kempten dankbar im Herzen trug, erzählte damals beim Abschied, sie bete für alle Jakobus-Pilger, sie mögen ihre Reise auch wirklich beenden. Wenn es mir schlecht ging, tröstete mich, daß sie auch für mich betet.
Nasbinals erreichten wir wieder erst mit dem Glockenläuten um sechs Uhr, und so, wie wir waren, gingen wir gleich zur Messe. Thomas und seine Freunde drückten sich irgendwo hinten herum, doch ich, Sissi und Joana wollten vorne sein. Die Pfadfinderinnen sangen, der uns bekannte Priester hielt das Amt, und ich durfte beide Mädchen auf die Wangen küssen. Ich betete für Joannas Knie, Sissis Lachen und meiner Mutter Operation. Danach gab es noch einen schönen Pilgerstempel und ein nettes Gespräch mit dem alten Gemeindepfarrer. Damit aber war das gute Timing dahin, und alles zerfiel. Elisabeth verschwand gleich nach dem Duschen mit irgendwelchen Frauen zum Essen, ich aber sollte auf Joanna warten und dann mit ihr nachkommen. Joanna aber wollte partout in der Herberge Nudeln kochen, und ich fand Elisabeth nicht. Statt dessen stieß ich auf Thomas und seine Freunde. Sie ließen mich in dem Glauben, Elisabeth werde noch kommen. In der Tat hat sie mich ein paar Minuten zuvor noch gesucht und hinterlassen, wo ich sie finde. Das sagten sie mir aber nicht. Sie fanden mich nett und wollten sich unterhalten. Nur daß ich andere Pläne hatte und kein so guter Unterhalter war. Und dies war eigentlich kein Restaurant, sondern eine zügige, von Touristen überlaufene Tagesbar an der Hauptstraße, mit schlechtem, viel zu teuerem Essen. Direkt hinter meinem Stuhl strömten die Gäste durch den Eingang ein und aus. Es verging keine Minute, als nicht jemand dicht an mir vorbeiginge. Ich kann Leute im Nacken nicht vertragen und litt dabei wie ein Hund. Die Bremer aber fanden den Platz perfekt und versäumten nicht, es die ganze Zeit zu betonen. Sie kamen gerade aus Deutschland, für sie war alles frisch und interessant, und sie hatten Geld genug, um nicht im Urlaub knausern zu müssen. Preise interessierten sie nicht. Es störte sie auch nicht, daß der Tisch nach dem Essen nicht abgeräumt wurde und wir zwanzig Minuten an der Kasse warten mußten, um die Rechnung zu bezahlen. Ich bezahlte zweimal so viel als Elisabeth für das Pilgermenü in einem netten, vornehmen Restaurant und mußte mir nachher von ihr vorwerfen lassen, sie versetzt zu haben. Dabei habe ich mich auf das gemeinsame dînée mit den Mädchen so gefreut. Der Tag war schwer genug, das gemeinsame Mahl hätte ihn gerettet. Es hätte auch nur Wurst, Brot und Käse mit einer Flasche Rotwein an der Kirchentreppe sein können.
Saint-Chély-d’Aubrac, km 1440
Ich setzte den Weg am nächsten Tag mit den Mädchen allein fort. Es war ein grauer, kalter Morgen, erst später besserte sich das Wetter. Thomas hat sich nun endgültig von uns verabschiedet, später erzählten uns nachfolgende Pilger, sie hätten ihn auf dem Camino zurückgehen gesehen. Das verstand ich nicht ganz, da hätte er doch noch bis Saint-Côme-d’Olt mitkommen und von dort den Bus nehmen können. Wir marschierten über die wilde, steinige Hochebene, die jetzt eine Kuhweide, doch im Mittelalter noch ein dichter Wald war. Räuber trieben hier ihr Unwesen, Natur und Wetter kamen hinzu. Die Einheimischen waren ebenso wenig sicher wie die Reisenden. Das Städtchen Saint-Chély wurde im Jahre 1385 von Banditen so gründlich zerstört, daß es erst fünfunddreißig Jahre später aufgebaut werden konnte. Dieser Abschnitt gehörte einst zu den wohl gefährlichsten des Camino. Der flandrische Graf Adalard, der hier nur knapp dem Tod entkam, gründete an der Stelle im Jahre 1120 das Pilgerhospiz Notre-Dame-des-Pauvres , das später ein sehr mächtiges Kloster wurde, bis es in den Religionskriegen wie vieles andere hier gänzlich unterging. Zurückgeblieben ist eine mächtige romanische Kirche, innen bar jeden Schmucks, verstaubt und abweisend. Doch voll des Herrn. Welche Kraft, welche Ausstrahlung! Dies war sein Ort, ohne Zweifel. Wir blieben, meditierten und sogen uns voll der Kraft. Ein großes Haus an der Straße diente dem Tourismus, aber im Augenblick gab es keine störenden Touristen, und wir hatten die Kirche fast eine Stunde nur für uns. Wir trennten uns ungern von diesem Ort. Am Ende mußte ich nochmals zurück, weil ich meinen Sonnenhut und den Pilgerstab dort vergaß. Der Herr war noch da, und ich mußte mich direkt losreißen, um wegzukommen. Es war ein guter Ort.
Damit haben wir den
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