Bis ans Ende der Welt
richtig ansteckend, rollte für eine Minute die Schaummatratze im Gras aus und dehnte den schmerzenden Rücken. Der Arme hatte es mit den Bandscheiben, den Plattfüßen und wer weiß noch. Manche liefen auch unglaublich fit und energisch vorbei wie die zwei Nepal-Amerikaner, die zwar freundlich, doch stets mit Abstand grüßten und nie stehengeblieben sind. Es gab auffallend viele Jungfer oder Frauen im mittleren Alter. Die letzteren meist in Gruppen. Mindestens zweimal so viele weibliche wie männliche Pilger. Bedeutet es, daß Frauen gläubiger als Männer sind? Und dann das großartigste Paar auf dem ganzen Camino überhaupt – die achtundsiebzigjährige Oma mit dem siebenjährigen Mädchen. Ich konnte mich an ihnen überhaupt nicht satt sehen. Der Herr, der mit uns wohlgefällig all den keuchenden Gestalten zusah, strahlte geradezu, als die zwei näher kamen, langsam, wie fließend von Gatter zu Gatter wandernd, immer wieder ins ernste Gespräch vertieft haltend oder etwas Interessantes betrachtend. Von unserer Wiese nämlich hatten wir einen guten Überblick über einen Teil des Weges. Ich versuchte, jemanden anzustiften, sie zu fotografieren und mir später das Bild zu schicken. Ich fand aber niemanden, Monika fotografierte nicht, und der Mann saß im Taxi. Ich wünschte, ich wäre nicht so unvorsichtig mit dem Fotoapparat gewesen. Und warum kaufte ich mir eigentlich nicht eine von diesen fabelhaften Digitalkameras, die nicht viel wiegen und mit denen man kinderleicht tausend Bilder machen kann? Da machte ich nun die ultimative Reise meines Lebens und brachte nicht einmal ein Foto mit heim. War es nicht seltsam?
Heute sollten wir wieder in einem Kloster übernachten. Es hieß Couvent de Malet und gehörte den Ursulinen. Die Übernachtung kostete nur eine Spende. Das war im Gegensatz zu der Schweiz oder Deutschland in den religiösen Einrichtungen Frankreichs fast die Regel. Man mußte nicht notwendigerweise wenig geben. Die französischen Pilger, die ich näher kennenlernte, waren meist Absolventen der katholischen Lyzeen, besser ausgebildet und besser situiert, wenn auch nicht reich, so zumindest gut versorgt. Doch traf ich auch ein paar ganz reiche Leute. Unter diesen Menschen gehörte es zu guter Sitte, einmal im Leben das Camino zu gehen. Meist in kleinen Abschnitten von einer bis zwei Wochen. Ich weiß nicht, wieviel diese Menschen spendeten, aber für jene mit wenig Geld wie Joanna war es ja direkt eine Wohltat, für einen nur geringen Betrag Dach überm Kopf zu haben.
Ich freute mich schon auf die Vesper. Das letzte Stück ging es nur bergab, schon lange vor dem Ziel konnte man unten im Tal die Stadt sehen. Elisabeth lief plötzlich vor lauter Ungeduld voraus, Joanna spürte gleich das Knie. Wenigstens weinte sie jetzt nicht mehr. Es war gut, daß das Kloster noch vor der Stadt lag, so gab es nichts, was uns abgelenkt hätte. Die zwei, drei Autos, die auf der Straße an uns vorbei sausten, reichten mir völlig. In dieser Landschaft waren sie ein Anachronismus. Bald lag das Kloster zu unseren Füßen, und die Stimmung stieg. Es war eine stattliche, schloßartige Anlage. Viel zu groß für die paar Schwestern. So haben sie das Haus für Pilger geöffnet. Alles war sehr sauber und perfekt organisiert, alles vorbereitet. Joanna, Elisabeth und ich bekamen ein großes Appartement mit Küche, Bad, Schlafzimmer und Aufenthaltsraum. Das konnten wir zu dritt unmöglich ausfüllen.
Unser Freude über den Luxus trübte Sissi, die irgendwo ihre Geldbörse verlor. Das war wohl die Strafe für die geschwänzte Übernachtungsgebühr in Saint-Chély. Wir riefen an allen möglichen Stellen an und befragten alle möglichen Pilger, die nach uns kamen. Wir gingen ja alle denselben Weg, passierten dieselben Stellen. Alles war vergeblich. Dabei ging es nicht einmal so sehr um das Bargeld, sondern um die Kreditkarten und andere Ausweise. Sissi trug den Verlust mit einer Röte im Gesicht, doch relativ tapfer. Mir tat sie trotzdem leid. Was konnte ich tun, wie konnte ich helfen? Als alle Mittel erschöpft, alle Taschen und Ecken zehnmal durchsucht und alle Alternativen besprochen waren, bat ich den Herrn um ein Zeichen. Dann ließ ich Sissi nochmals im Rucksack nachsehen. Und siehe da, das gesuchte Portemonnaie war wieder da. Die Mädchen sahen ziemlich verblüfft aus, aber ich war es schon gewohnt. In dieser Hinsicht war auf den Herrn voll Verlaß. Ich kassierte für ihn zwei dicke Küsse.
Vor dem Abendessen gab es noch
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