Bis ans Ende der Welt
einen zweisprachigen Gottesdienst. Wegen der deutschen Gäste waren die Lesungen und Fürbitten auch in Deutsch. Es war eine relativ intime Angelegenheit, weil wir nicht mehr als zwei Dutzend Pilger und ein paar Schwestern waren. Dazu reichte der Altarraum, wo man im Halbkreis Stühle plazierte. Ich sollte das deutsche Part übernehmen und übersetzen, was mich etwas nervös machte. Es war für mich nämlich das erste Mal. Ich fürchte, meine Stimme zitterte ein wenig, aber Elisabeth strahlte mich stolz an, weil ich mich nicht drückte und tapfer schlug. Die Stimmung war perfekt. Das Abendessen danach fand gemeinsam mit den Schwestern in Refektorium statt. Sie hatten keine Berührungsängste wie die Benediktiner in Einsiedeln.
Nach dem Abendessen wollte ich im Park die Abendstimmung genießen und stieß am Brunnen auf eine religiöse Gesprächsrunde. Der Herr Abbé hielt sie zum Zwecke der religiösen Erbauung ab. Ich kam nur zufällig dazu und wäre gleich verschwunden, wenn es statthaft gewesen wäre. Man mußte nämlich der Reihe nach über seine Glaubenserfahrungen auf dem Camino erzählen. Solche Dinge liegen mir nicht so sehr. Glaubenssachen halte ich für eine intime Angelegenheit. Auch wollte ich niemanden in seinen Gefühlen verletzen. Die anwesenden Franzosen schienen darin mehr erfahren. Jedenfalls brachten sie gewandt tiefgehende Ideen zutage. Ich hoffte, man würde mich als Ausländer schonen, oder ich könnte mich bei den Mädchen irgendwie inspirieren. Immerhin pilgerten wir schon eine Weile zusammen. Aber auffällig, wie ich bin, war ich früher an der Reihe. So dachte ich, man könnte die Stimmung etwas lockern, wenn man von dem Beistand des Herrn erzählen würde. Es würde vermutlich niemand sehr ernst nehmen, daß er einem den Weg zeigt und verlorene Sachen sucht. Also erzählte ich, wie der Herr von Anfang an mitgeht und mir das, worum ich ihn bitte, umgehend gibt. In Deutschland wäre wohl entweder allgemeine Belustigung oder umgekehrt eine gehörige Empörung das Resultat. Nicht aber hier. Die Runde wurde richtig still, als ob es ihnen die Sprache verschlagen hätte. Der Priester brauchte auch einen Augenblick, bis er erwidern konnte, man solle sich darauf lieber nicht zu sehr verlassen. Das sah ich auch so, denn ich war mir nicht ganz sicher, ob mir der Herr auch weiterhin seine Gunst zeigen würde, wenn ich damit überall prahle. Ich hätte es gern, wenn die Sache damit ausgestanden wäre, aber Sissi brachte gleich die Geschichte mit der Geldbörse. Hoffentlich sah der Herr, daß ich nicht eitel mit seiner Macht punkten wollte. Als wir auseinander gingen, hielten mich noch einige an, um mir anerkennend die Hand zu drücken und gutes Wort zuzusprechen.
Estaing, km 1473
Elisabeth und Joanna kamen sich nun immer näher, sie wurden geradezu die besten Freundinnen. Deswegen warteten wir den halben Vormittag auf Joanna, die sich irgendwie vom Kloster nicht trennen wollte. Erst hieß es, sie werde mit Monika und Lüdtke, dem Bremer Ehepaar, mitgehen, dann aber fanden wir sie in der Halle ins Gespräch mit dem Priester vertieft. Es war ganz offensichtlich, daß sie nicht mit uns gehen möchte. Vielleicht wollte sie sich im Kloster einen Rat suchen oder gar gänzlich dort bleiben. Vielleicht wollte sie sich auch taufen lassen. Aber Sissi schien nichts davon zu merken oder gelten lassen zu wollen. So warteten wir und warteten, bis uns Joanna austrickste und doch noch auf den Weg brachte, mit dem Versprechen, sie werde gleich nachkommen. Wir marschierten also zu zweit los und natürlich mit einem gehörigen Tempo, weil uns diesmal nichts aufhielt. Auf Joanna wollten wir irgendwo unterwegs warten. Wir trödelten ein wenig durch Saint-Côme, wo nichts los war. Die bizarren Gassen waren wie ausgestorben, sogar die Kirche war noch verschlossen. Für diese Kulturlandschaft war sie noch jung. Hier in Okzitanien lag die Heimat der Troubadours, die meisten Kulturdenkmäler gingen auf das elfte bis dreizehnte Jahrhundert zurück. Doch diese Kirche wurde erst im sechzehnten gebaut. Sie war den Heiligen Kosmas und Damian gewidmet. Daher auch der Stadtname. Olt war dann die okzitanische Bezeichnung des Flusses Lot. Mir fielen besonders die verdrehte Turmspize und das großartige Renaissanceportal auf.
Bald ließen wir die Stadt hinter uns, stiegen durch einen Wald auf den gegenüberliegenden Bergkamm und marschierten obendrauf. Es gab hier einen schönen Ausblick ins Tal. Ein kräftiger Schirokko blies vom
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