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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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unterzukommen hofften, etwas ausruhen, gab uns zu essen und zu trinken. In einem Seitenflügel sollte es ein seit unbekannter Zeit verschlossenes Zimmer geben. Was tatsächlich hinter der Tür lag, wußte so richtig niemand. Niemand könne sie ja aufmachen, trotz des richtigen Schlüssels. Ich war mir sofort sicher, ein jedes Schloß knacken zu können, vor allem, wenn es zu dem einzigen noch freien Zimmer vor Ort war. Der Schlüssel wurde gebracht, ich arbeitete hart und motiviert. Der Schlüssel brach im Schloß. Vielleicht hätte noch mehr Gewalt Erfolg gebracht, vielleicht auch nicht. Es war eine sehr widerstandsfähige Tür. Lieber nahmen wir rasch Abschied. Da hieß es, in der Stadt befinde sich noch eine nicht fertige, nicht autorisierte Herberge in einem alten Haus. Eigentlich nur eine Bruchbude, aber da könnten wir vielleicht noch Glück haben. Da ging mir auf, daß der Herr mit mir wieder mal Schabernack trieb. Das machte er ja immer wieder. Meist wenn er mich auf Abwegen wähnte. Also suchte ich nicht erst die Herberge, so verlockend es uns schien, sondern zuerst eine Kirche. Obwohl wir an diesem Tag bereits vier oder fünf großartige Kirchen besucht haben. Doch die Stadtpfarrkirche, die Église de Saint-Saveur , lag mehr oder weniger auf dem Weg. Allerdings war sie schon verschlossen. Ich läutete an der Sakristei, bis uns der Pfarrer aufmachte. Auch schien er sich über unser Erscheinen überhaupt nicht zu wundern und lotste uns gleich wohin durch den großartigen gotischen Bau. Es war dunkel und geheimnisvoll, und der Herr war auch schon da, was mich persönlich gar nicht wunderte, weil er uns ja hierher führte. Dann holte François plötzlich ganz tief den Atem und vergaß, den Mund zuzumachen. Ich glaube, er sah den Herrn. Der Herr ist König: Es zittern die Völker. Er thront auf den Kerubim: Es wankt die Erde. [38] Der Pfarrer führte uns wortlos in sein Büro und stempelte unsere Pilgerausweise. Dann brachte er uns durch die Kirche wieder zurück zum Ausgang, und die Tür fiel hinter uns ins Schloß, und François sagte: „Wow!“
    Das sah ich auch so, allerdings war mir immer noch nicht ganz klar, was der Herr gerade hier und jetzt von uns wollte. Der Umstand, daß er mit pilgerte, machte seine Wege nicht verständlicher. Eher umgekehrt. Auch war er einfach nur da, zwar anwesend, doch fast unbeteiligt, sprach nicht etwa in einer Menschensprache aus dem brennenden Busch, führte keine lustigen Gespräche wie bei Don Camillo. Man mußte selbst aus allem klug werden. Und manchmal war er plötzlich wieder verschwunden, hatte wohl anderswo zu tun, man fand ihn nicht an der zu erwartenden Stelle, nicht in jeder Kirche, dann aber wieder an Orten, wohin er scheinbar nicht hingehörte. Und obwohl er auf mich hielt und mir Wünsche erfüllte, fühlte ich mich da nicht ganz so sicher in seiner Gunst. Was davon war ein Freundschaftsbeweis, was eine Prüfung? Wer weise ist, begreife dies alles, wer klug ist, erkenne es. Ja, die Wege des Herrn sind gerade; die Gerechten gehen auf ihnen, die Treulosen aber kommen auf ihnen zu Fall. [39] Und wo stand ich, und wie fest?
    Wir hatten es nicht mehr weit. Das Haus, das die Herberge sein sollte, war ohne Nummernschild, ganz offensichtlich kriminell baufällig schon beim Betreten. Ich hätte mich nicht gewundert, wäre die ganze Bude beim ersten lauten Wort über uns gestürzt. Doch es war tatsächlich eine Pilgerunterkunft, geführt von einem Franzosen aus Lille und einem zugereisten Algerier, die den Geist des Camino richtig zu leben schienen. Andererseits war der Algerier ein Mohammedaner. Aber es machte irgendwie keinen Unterschied. Alles war frei, sogar das Abendessen, man lud mich noch spät am Abend ins Cafe auf ein Glas Wein ein. Ein Pilger habe viele Kosten, er müsse sein Geld zusammen halten. Es war ernst gemeint und dargeboten wie eine Hostie. Mein Französisch reichte nicht, um das Geheimnis der Gastfreundschaft zu lüften und dem Gastgeber etwas von meinem zu vermitteln, was mir diesmal echt leid tat. Doch war ich diesem Menschen nicht gleichgültig, er interessierte sich wirklich für mich, obwohl tagein, tagaus ein unendlicher Pilgerstrom durch diesen Ort floß und alles Mögliche mit sich brachte. So mancher der Gäste, die noch nach uns kamen, machte eher einen seltsamen Eindruck. Einige hätten angeblich diese Strecke in nur der Hälfte der Zeit wie wir geschafft, hatten jedoch nicht einmal staubige Stiefel und das Pilgerbuch mit wenigen Stempeln

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