Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
Vom Netzwerk:
den Rest des Tages mit Sissi da stehen können. Aber sie saßen da auf der Mauer und sahen uns mitfühlend zu und wußten genau, was da passiert, weil Frauen einen sechsten Sinn dafür haben und bei so etwas hemmungslos gerne zusehen möchten.
    Ich riß mich los und ging, ohne mich umzudrehen, machte noch einen kleinen Hüpfer, um mir Mut zu machen. Die romantische Stadtkulisse war zu einem solchen Abschied wie geschaffen. Doch ich verließ die Stadt fast blind, passierte das enge Stadttor, die romanische Pilgerbrücke über den Fluß und freute mich über den extra steilen Aufstieg auf der anderen Talseite, der mir zwar den Atem, doch auch den Schmerz raubte. Und ich hätte alles einigermaßen männlich überstanden, käme mir nicht eine kleine Kapelle der Sainte-Foy an einer Wunderheilquelle in den Weg. Ich kehrte hier ein, weinte und betete für Elisabeth und alle meinen Mädchen und auch für alle verkorksten Beziehungen meines Lebens, die mich bis hierher führten. Es war ein emotioneller Kurzschluß. Als ich dann nach mehr als einer Stunde herauskam, wartete eine Frau wohl schon seit langer Zeit vor dem Eingang. Wer weiß, was sie sich dachte. Ich wusch die verweinten Augen in der wundertätigen Heilquelle, die Blinden sehend macht, und setzte den bestialisch steilen Aufstieg fort. Kein Schmerz war mir groß genug. So schön war es hier, so zart war der Tag, ein anderes Mal würde ich den Herrn um seine Schöpfung preisen, nun sah ich kaum vor die Füße. Um mich abzulenken, dachte ich daran, daß ich seit einiger Zeit nicht mehr so gut sehe, und daß eine kleine Wunderheilung wirklich nicht schlecht wäre, und daß meine Liebesprobleme nicht mein größter Kummer sein sollten. Dennoch brauchte ich noch eine ganze Weile, bis ich gefühlsmäßig einigermaßen runter kam.
    Und die Pilger, die ich nach und nach einholte, sahen mich nun allein ohne die Mädchen und sahen meine Trauer und meine Augen und wußten wohl Bescheid und ließen mich in Ruhe, damit ich meinen einsamen Gedanken nachgehen kann. Manchmal sagten sie auch etwas Nettes zu mir, was mich aufmuntern sollte. Erst das deutsche Psychologenehepaar verwickelte mich nach und nach in ein längeres Fachgespräch und führte mich so auf andere Gedanken. Dafür war ich dankbar und suchte für uns einen schönen Platz für die Siesta, an dem bald auch das andere deutsche Ehepaar, Francois aus Quebec und einige andere Weggefährten Gefallen fanden, und wir alle hatten in dem Garten eines leerstehenden Ferienhauses eine gute Zeit. Es war, als ob uns dieses Haus, dieser Garten selbst gehörte und wir ganz legitim hier im trauten Kreis bei Speise und Trank den Nachmittag verbrachten. Alle wurden immer fröhlicher, sorgloser und selbstsicherer. Auf dem Erinnerungsfoto, das man mir später schickte, kann man es gut sehen. Nur ich bin da noch etwas mau um die Mundwinkel. Später marschierte ich wieder allein weiter und landete am späten Nachmittag in einem originellen alten Turm, der im Garten einer privaten Herberge über der Brustwehr stand. Es gab nur eine kleine Handvoll Übernachtungsplätze hier, und die Atmosphäre war häuslich und intim. Wir Pilger — Deutsche, Franzosen, Kanadier — verabredeten uns zum Abendessen in einem urigen Gartenrestaurant am Fluß Lot, wo wir uns bald wie heimisch fühlten, gut ins Gespräch kamen und entsprechend lange blieben. Ein Tag der Geselligkeit war es heute. Der Herr wollte mich wohl von meinem Kummer ablenken. Rotierende Sternenräder funkelten aus der Tiefe, als wir am Ufer entlang nach Hause gingen und auf dem Aussichtspunkt, der vom Rest der historischen Brücke über dem Fluß gebaut wurde, eine besinnliche Pause hielten. Es war eine helle, lauwarme Sommernacht und der Weg nach Hause viel zu kurz. Mein Turm ragte wachsam über der Gartenmauer wie in einem historischen Film. Unter den Büschen scharrten und unkten jagende Kleintiere oder vielleicht auch die Schergen des Kardinals Richelieu. Bald lag ich im Bett, sah dem Mondlicht zu und dachte an Elisabeth. Sie versprach, jeden Tag meiner Reise an mich zu denken und für mich zu beten. „Die ganze lange Zeit?“ fragte ich sie. Aber ich glaube, sie habe es tot ernst gemeint. Auch ich wollte sie stets im Herzen tragen, wohin ich ging, bis ans Ende der Welt und noch darüber hinaus. Währenddessen saß der Herr mit gekreuzten Beinen am Himmel und spielte mit den Sternen Murmeln. Er nahm mich lächelnd an der Hand und führte mich in süßen Schlaf.
Figeac, km

Weitere Kostenlose Bücher