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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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hinaus, mit einem riesigen Himmelschirm darüber. In der Nacht sauste der Herr durchs Firmament, bis die Sterne stieben und fielen, scheuchte das lahme Gewitter auf, schlug mit Blitz um sich und ließ Donner schallen . Das alles lag zu meinen Füßen. Doch Moab ist mein Waschbecken, / auf Edom werfe ich meinen Schuh, ich triumphiere über das Land der Philister. [62]
    Das war schon etwas. Um mich jedoch richtig zu erholen, hätte ich länger bleiben müssen. Der Morgen kam, ich konsumierte in dem menschenleeren Speisesaal das magere spanische Frühstück und zog aus dem Schlaraffenland hinaus, um mich im Schweiße des Angesichts weiter durchs Leben zu plagen. Heute vielleicht eine Spur später als sonst, um der schönen Illusion vom guten Leben gerecht zu werden, doch nicht zu spät für den langen Schatten. Er marschierte vor mir über die rotbraune Erde. Wie auf dem Mars. Nur der flache, hellblaue Himmel paßte nicht zu der Marsillusion. Licht und Schatten formten gewaltige Vistas und Landschaftsszenarios. Der harte, steinige Weg führte einmal steil, andermal sanft hoch und hinunter, wandte sich malerisch zwischen den Weinbergen vom Hügel zu Hügel. Überall Weinberge, soweit das Auge reichte. Die roten Weintrauben sahen reif aus, waren es in Wirklichkeit noch lange nicht. Ich prüfte und prüfte, kam jedoch jedes Mal mit Bedauern zum selben Schluß.
    Die anderen Pilger waren freilich alle längst vor mir unterwegs, sie holte ich nun nach und nach ein. Erst kam mein Schatten, dann lange nichts, dann ich. So gewarnt, legten sie einen Schritt zu, wollten nicht gedemütigt werden. Großstädter mit spitzen Ellenbogen verteidigten ihren Platz. Doch auf wen mein Schatten fiel, der entkam nicht – auch nicht die aufsässigen Teutonen und nicht der japanische Samurai. Bis mich ein Nasenbluten niederschlug. Nasenbluten ist bei mir normalerweise ein lästiges Zeichen der Überanstrengung und der Erschöpfung. Als eine gutgemeinte Warnung der Mutter Natur sozusagen. Doch diesmal wollte und wollte es nicht aufhören. Ich hatte einfach keine Reserven mehr, bei der erstbesten Gelegenheit machte ich schlapp. Ich blutete und blutete und überlegte, ich könnte hier auch tot umfallen, zum Schauder der Pilger mit geplatzter Aorta in einer Blutlache das Leben aushauchen. Wenn der Herr es so wollte. Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde. [63] Es gäbe wohl keinen besseren Ort dafür als den hier. Aber der Herr wollte nicht, ließ mich weiterlaufen, wie ich gelobte, auch wenn ich nun plötzlich keine rechte Freude dran haben wollte. Alles um mich verkam. Es wurde kalt und öde, sogar die schillernden Schmeißfliegen, ließen ihr aggressives Gebaren sein und hingen freudlos am Kot, als ob dies der letzte Tag auf Erden wäre. Dann aber schlug plötzlich wieder Hitze ein, daß mir der Schweiß aus den Stiefeln lief, und die Fliegen bissen auf mich ein wie kleine Drachen. Ich ärgerte mich über sie, was freilich sinnlos war. Der Herr ritt auf dem Gewitter, der Luftdruck hüpfte wie ein junges Kalb, der Himmel färbte sich grau, dann orange, die Erde wurde wie geronnenes Blut. Es war gerade Mittag, der Mensch verwarf seinen Dünkel und wurde stille. Genau vor mir lag Nájera, wo um diese Tageszeit am 3. April 1367 eine blutige Bataille zwischen Kastiliern, Engländern und Franzosen tobte. Von Achtzigtausend gingen hier Fünfzehntausend zugrunde. Die Schlacht markiert die erste Phase des Hundertjährigen Krieges. Es siegten die Engländer unter Edward of Woodstock, dem Schwarzen Prinzen, dessen Sarkophag in der Canterbury Kathedrale die demütigste christliche Haltung an den Tag legt. Hundert Jahre Krieg. Wozu? Um die letzten Reste der römischen Zivilisation in den Boden zu stampfen, das dunkle Zeitalter anzuläuten, Pest und Inquisition auf die Menschheit zu hetzen? Es mag uns heute wohl seltsam wähnen, daß sich Engländer und Franzosen in Spanien die Köpfe einschlugen. Doch wohl nur deshalb so, weil wir selbst global mobil in Irak, Iran oder bei den Fellachen am Hindukusch unsere Freiheit verteidigen können. Kein Krieg, nein, eine Aufbauhilfe! Für die Barbarei des Mittelalters und ihre verabscheuungswerten Akteure wie Peter den Grausamen oder Karl den Bösen haben wir nur Verachtung übrig — was sonst. Obwohl, ist es nicht irgendwie seltsam, daß Peter dem Schwarzen Prinzen zur Belohnung einen übergroßen afghanischen Rubin schenkte, der noch heute in der britischen Staatskrone steckt? La Rioja

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