Bis ans Ende der Welt
leichtes Gepäck, was fast schon eine Art Privatsphäre bedeutete. Es gab tatsächlich eine Art Regal, wo man Sachen hineinlegen konnte. Eine Gepäckablage, egal wie klein und unbedeutend, war in den spanischen Albergue s sehr, sehr selten, und ich hatte deshalb eine richtige Scheu davor, tatsächlich etwas hineinzulegen. Wichtiger aber, man wurde nicht von wandernden Nichtschläfern geweckt, und aggressives Schnarchen kam nur in moderaten Tönen durch. Und was das Beste war, in das moderne, weißgekachelte Bad paßte mindestens die Hälfte der Nachtgäste auf einmal. Das hieß, sich am Morgen rasieren zu dürfen, ohne andere warten zu lassen, was zumindest für mich, der das Alleinsein gewöhnt ist, stets Streß bedeutete.
Ich bin morgens halt nicht sehr kommunikativ, bin ungeduldig und bei Störung gar reizbar. Vor allem die ununterbrochene Flut an Belanglosigkeiten aus den Reihen von Spaniern, Italienern und Portugiesen setzte mir sehr zu. Was immer diese an sich sehr nette Menschen taten, ob unter der Dusche, auf der Toilette oder beim Anziehen und Packen, sie mußten es lautstark und vollmündig mit allen anderen teilen. Dazu kam das hysterische Lachen ihrer Weiber. Würde eine Braut dem Bräutigam je so zulachen, er würde sich gewiß besinnen und sich den Ausführungen des heiligen Paulus über die Ehelosigkeit anschließen. Es war wie die Brandung oder die Stadtautobahn, ein ständiger, an- und abschwellender Geräuschpegel. Da konnte man glatt Ausschlag davon kriegen. Ganz anders dagegen die Les Fous. Die hatten sich immer was zu erzählen, aber man bekam davon nie etwas mit, auch wenn man direkt daneben saß. An diesem Tag mußte ich mich von ihnen verabschieden. Sie hatten endgültig genug von der Wassersuppe und beschlossen heimzufahren. Ich holte sie noch recht früh am Morgen ein. Und während ich noch eine ganze Weile hinter ihnen lief, sah ich sie in dieses agitierte, stille, irgendwie intime Gespräch vertieft vor mir hin trotten, immer wieder anhaltend, um einen offenbar wichtigen Punkt nicht einfach so im Vorbeigehen, sondern in der Tat standhaft zu vertreten. Wir gingen noch ein paar Kilometer zusammen, erst durch die leeren Felder, dann durch eine nicht minder verlassene luxuriöse Siedlung, bis wir uns endgültig trennten.
In so eine adrette Siedlung mit Golfplatz, Tennisplatz und Schwimmbad zwischen den hübschen Familienhäusern hätte ich glatt einziehen können. Es war seltsam, sie leer stehen zu sehen. Doch war das spanische Bauwunder, von dem das Land die letzten zehn, fünfzehn Jahre lebte, hier zu Ende, und ein neues Haus war nun fast unverkäuflich. Also stand alles leer, eine Geisterstadt, die man allerdings sorgfältig pflegte, denn alles war blitzsauber und ohne die geringste Beschädigung. Als ob die Menschen gerade alle weggegangen wären, bis vor dem Golfplatz plötzlich eine auffällige Anhäufung deutscher Luxuskarossen vom Gegenteil zeugte. Geld war noch vorhanden, und vielleicht hatte diese schöne Siedlung doch noch eine Zukunft.
Hier endete Rioja und begann Kastilien. Anstelle der rotbraunen Weinberge kamen silberne Weizenfelder, die sich schier endlos über die flachen Hügel hinzogen. Kein Baum, keine Bank, kein Nichts, nur der Weg, die Hügel und das Weizenfeld, das alles über sieben-, achthundert Meter über dem Meer gelegen. Darüber hing der flache hellblaue Himmel wie ein riesiges Vergißmeinnicht. Eine kontemplative Landschaft. Die Ernte war gerade vorbei, der Sommer ging zur Neige. Die UV-Strahlung war trotzdem enorm. In unregelmäßigen Abständen standen riesige Strohhaufen, sauber aufgeschichtet wie Häuserblocks aus großen Quadern, wie sie aus der Packmaschine kamen, und harrten des Abtransports. Die Felder waren etliche Kilometer lang und genauso breit. Weizen stand hoch in Kurs an der Börse, und man würde Zeichen des Wohlstands erwarten. Aber die Ortschaften hier machten einen eher armseligen Eindruck. Der breite Schotterweg, auf dem ich ging, war nicht für die Pilger gebaut, sondern dafür ausgelegt, große, tonnenschwere Erntemaschinen und Straßentransporter zu tragen. Pilger konnten hier zu sechst nebeneinander gehen, und Pilger gab es wie Fliegen. Sie waren weit sichtbar und kamen mir vielleicht deshalb noch mehr vor. Seltsamerweise fehlten plötzlich die Radfahrer. Wo waren sie denn abgeblieben? Dabei wäre es die ideale Rennstrecke für sie. Aber der Führer lieferte gleich die Erklärung. Es gäbe einen kulturhistorisch interessanten Umweg von
Weitere Kostenlose Bücher