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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Interessanterweise wußte jeder von ihnen, wo sie sein sollte, konnte darüber hinaus noch viele interessante Informationen liefern, störte sich überhaupt nicht an meiner heruntergelatschten Gestalt und hegte keine Zweifel an meinem perfekten Spanisch. Man laberte mich mit allem Möglichen voll, erzählte Geschichten von der kranken Oma und dem letzten Urlaub in Schweden, beschrieb im Detail alle Sehenswürdigkeiten, die auf mich zwei Straßen weiter warten würden, anstelle mit der ausgestreckten Hand mir einfach den Weg zu weisen. So fand ich alle Herbergen, die im Führer standen, und alle waren sie geschlossen. Wie leicht hätte ich da – wie üblich zu meinem Unrecht – doch ungeduldig werden können. Hätte ich nur nicht gewußt, ich müsse nur warten, da werde die Herberge allein zu mir kommen. Sie tat es in Gestalt eines sterilen, ultramodernen Neubaus, wo Hunderte Pilger wie in einem riesigen Ameisenhaufen auf sechs Stockwerken hausten. Es war die Megapilgerherberge schlechthin, und mein Kinnladen wollte gar nicht so schnell wieder hochkommen, wie es sich eigentlich gehörte.
    In der futuristisch anmutenden Rezeption herrschte höchste Betriebsamkeit. Alles war nagelneu, vollklimatisiert und steril sauber. Hier konnte man sich nicht wie sonst einfach das Bett suchen, man bekam es nach Stockwerk und Saal zugeteilt. Der adrette junge Helfer hinter dem Computer wies mein Ansinnen, hier zwei Nächte zur Erholung und Blasenbehandlung zu bleiben, strikt zurück, obwohl der Laden nicht einmal halb voll war. Das sei grundsätzlich verboten. Dabei sah er mich wie ein Chefrezeptzionist eines fünf Sterne Hotels streng und kritisch an. Ich hätte mit ihm streiten mögen, doch auf den prallen Blasen stand sich schlecht. Lieber fuhr ich in einem der drei Lifte in das mir zugeteilte Stockwerk und kümmerte mich um sie. Ich duschte, wusch meine Sachen, brachte sie mit dem Aufzug in den Patio zum Trocknen. Wieder auf dem Weg nach oben, stieg eine Gruppe spanischer Radfahrern in rotgelben Gummihosen und ausgelassener Stimmung zu. Erst kamen ihre zahlreichen Plastikkoffer, dann drängten sie sich selbst hinein. Dabei landete der schwerste von ihnen mit seinen patentierten Plastikschuhen auf meinen Fuß. Der Man wog — wie diese Menschensorte eigentlich immer — mindestens hundertzwanzig Kilo, und ich sah hier schon meine Pilgerschaft zu Ende. Erst als ich etwa zwei Minuten wie am Spieß schrie, merkte er, was los war, und entschuldigte sich jovial. Ich tat ihm nicht den Gefallen, seine Entschuldigung anzunehmen, und schleppte mich schwer in den Schlafsaal, um dort die Wunden zu lecken. Ich war nicht glücklich. Als ich versuchte aufs Bett zu klettern, fiel dann vom Nachbarbett eine volle Wasserflasche hinunter und traf mit der Kante mein Fußgelenk. Eine Dame aus Frankreich ließ sie achtlos auf ihrem Kopfkissen liegen, so daß die geringste Berührung reichte, um sie zum Bettrand rollen und runterfallen zu lassen. Ein Kilo metallverpackten Wassers aus fast zwei Meter Höhe tat dem Gelenk nicht gut. Es schwoll rasch an und färbte sich dunkelrot bis blau. Schlimmer noch, der Fuß wurde sofort heiß und gefühllos. Ich schimpfte beherzt, was ein junger litauischer Pilger sehr lustig fand und vor den Genossen mir nachäffte. Diese waren dann gleich bereit, auf den Rücken zu fallen und sich totzulachen. Ich hatte nun endgültig die Schnauze voll, von Spanien, dem ganzen Wanderzirkus und den mitspielenden Deppen darin. Also fragte ich den jungen Mann ernsthaft, ob ich ihm erst die Nase und dann das Schienbein brechen darf, das wäre mein Preis für die lustige Vorstellung. Die Jungs kamen rasch zur Besinnung und zogen ab. Dafür kamen die Französinnen zurück, die ja nicht weit waren und bei dem Tumult den Braten irgendwie sofort rochen. Daß ich hier wegen ihrer Nachlässigkeit nach zweieinhalbtausend Kilometern vermutlich Schluß machen muß, tat ihnen offenbar wirklich leid. Sie gingen in die Rezeption und brachten mir einen großen Beutel Eiswürfel zum Kühlen. Eine ältere Deutsche teilte mit mir ihr mageres Abendessen, da ich überhaupt nichts mehr hatte und wegen des Beins auch nicht einkaufen gehen konnte. Ruhe kehrte ein, die meisten wollten sich das Nachtleben von Burgos nicht entgehen lassen. Ich las im Kriegstagebuch von Saint-Exupéry, solange ich es bei meiner Müdigkeit nur aushielt, um möglichst lange das Gelenk zu kühlen. Es war ein miserabler Tag, und ich war nicht böse, als er vorbei war.
Hontanas,

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