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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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war bereit, zu dieser unchristlichen Stunde gleich welche Geschäfte abzuschließen. Es blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Spanier das Schlafen, Saufen, Kartenspielen über hatten und wieder tagaktiv wurden. Oder weiterzumarschieren. Die Amis entschlossen sich für das Erste, ich für das Zweite. Es ersparte mir größere Geldausgaben, aber glücklicher war ich deshalb nicht. Es bedeutete nämlich, weitere zwanzig Kilometer bei rasch ansteigender schwüler Hitze auf schwellenden Blasen zu gehen.
    Es ist fast zwangsläufig so, wenn eine Sache schiefgeht, so tut es ihr die nächste gleich. Es war noch früh am Nachmittag und abgesehen von der Hitze und der Anstrengung, hätte der Weg nach Burgos gar nicht so schlimm werden müssen. Bald sollte ich auf das Flüßchen Arlanzón stoßen, dem man, kühl und von Bäumen beschattet, bis in die Stadtmitte nur zu folgen hat. Der Führer war sich darin ganz sicher. Und es hätte auch geklappt, hätte nicht jemand den Einfall gehabt, einen Flughafen auf den Camino zu setzen. Dabei ist der Jakobsweg europaweit denkmalgeschützt, aber in Spanien baut man con gusto drauf, ohne sich auch noch die Mühe zu machen, neue Schilder aufzustellen. Der Bauboom boomt, und für jeden Ziegelstein schießt Brüssel auch noch was dazu. Es heißt, die Infrastruktur zu fördern. Hinter dem Flughafen, wo die Vorstadt begann, standen straßenweiße Häuser und Wohnungen leer. Häßliche, unverkäufliche Hühnerställe. Laut Reklamenschild konnte man hier ein Appartement oder ein Haus ganz ohne Kapital, nur gegen Zahlung von dreitausend Euro Vertreterprovision erwerben. Fast käme ich in Wanken. Jedenfalls hatte ich vor dem Flughafenzaun nur die Möglichkeit links oder rechts zu gehen. Links ruhten in einem fünfzehn Meter tiefen Loch die Reste einer Baustelle, rechts führte immerhin ein befestigter Weg entlang. Und ich war bereits so meschugge, rechts statt links zu gehen, obwohl diese kleine Denkaufgabe ganz leicht zu lösen gewesen wäre. Folglich landete ich statt im schattigen, kühlen Flußtal auf der Einfallstraße der Industrievorstadt, wo alles neu und sauber war, es jedoch keine Bäume, keinen Schatten, keinen kühlenden Windhauch gab, es sei denn, man ließ sich von den Abgasen der vielen Autos aromatisch warm berieseln. Die drei Spanier, die ich unterwegs tatsächlich zu Fuß traf — und natürlich auch grüßte, wie ich es immer und überall auf dem Camino tat — warteten hier nur auf den Bus oder andere Mitfahrgelegenheit. Der Rest fuhr in ihren neuen, klimatisierten Kutschen herum und klopfte sich hinter meinem Rücken wohl auf die Stirn. Ich aber hielt durch, indem ich dem kühlen Flußweg nachtrauerte und mich damit tröstete, hier käme ich immerhin früher oder später an einem Supermarkt vorbei und könnte Feinschmeckersachen bunkern. So wäre es bei uns, an jeder befahrenen Ecke ein Aldi-Laden, hier aber fand ich nichts. Vielleicht lebten die Menschen hier einfach nur von der dicken Luft.
    Irgendwann wurden die Häuser höher und dichter, dann kam die Altstadt mit einer Kette glänzender Jakobsmuscheln im Steinpflaster. Vermutlich nicht ganz aus purem Gold, doch ein Zuckerl für den Pilger. So lange zu Fuß unterwegs, da wird man beständig. Egal wann, irgendwann kommt man immer ans Ziel. Irgendwann in die Altstadt von Burgos, irgendwann bis nach Santiago, irgendwann bis ans Ende des Daseins. Man braucht nur etwas Geduld und Demut dazu. Man braucht die Langsamkeit. Die Umstände können so oder so sein, schlecht oder besser. Der Herr gibt, der Herr nimmt, manchmal spendet er Trost, manchmal hat er woanders bessere Händel. Da fragt man sich, wozu er uns geschaffen hat, wenn er sich scheinbar so wenig um uns kümmert. Leichter ist es für den, der blind an ihn glaubt, auf ihn baut, sich auf ihn verläßt. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. [67] Doch so oder so, das Ziel tragen wir von Anfang an in uns, und wir können es gar nicht verfehlen. So steckt der Pfeil schon im Ziel, während der Samurai erst den Langbogen spannt. Ich wähnte mich also schon frisch geduscht, satt und ruhend. Doch die Erlösung ließ auf sich noch warten, was mir ein Affront war, da ich heute bereits zweiundvierzig Kilometer absolvierte, an die fünf Liter Flüssigkeit durch Schwitzen verlor, vom Kopf bis Fuß wund und staubig war. Nun mußte ich zu allem Überfluß auf und ab durch die Altstadt irren und schmucke Passanten nach der Herberge fragen.

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