Bis ans Ende der Welt
km 2381
In dieser Nacht wurde ich weder von bösen Schnarchern, noch von Hitze und Wanzen geplagt. Der Raum war perfekt klimatisiert, und vielleicht deshalb schliefen alle relativ ruhig. Fast alle. Es gab da einen, der vielleicht lungenkrank war und dem die kühle Luft nicht guttat. Sein Husten hörte sich wie Kettenrasseln an, und wurde in den Morgenstunden immer schlimmer. Schließlich trieb es mich noch vor dem Weckruf aus dem Bett. Ich brauchte aber nicht lange zu warten. Punkt 6.15 Uhr, draußen war es noch stockdunkel, gingen heftig alle Lichter an, und ein martialisches Läuten schmiß die Pilger aus den Betten. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon geduscht und rasiert und stand den anderen nicht im Weg. Wie üblich eiferte man um die Wette, wer als erster auf die Piste kommt. Ich aber war völlig gelassen, ja richtig glücklich, denn mein Fuß war wieder heil, keine Spur von einer Schwellung, als ob es die gestrigen Kalamitäten gar nicht gegeben hätte. Vielleicht wollte mich der Herr nur prüfen. So saß ich nur da, lächelte selig und war dankbar. Die ältere Deutsche, die mit gestern schon das Abendessen spendete, gab mir zum Frühstück auch noch einen großen saftigen Pfirsich und ein paar Teebeutel. Sonst hätte ich mit Nullkommanichts auskommen müssen. Es war nicht gerade geteilt von ihr im eigentlichen Sinne des Wortes, denn für sich produzierte die Dame ein recht aufwendiges Frühstück mit Joghurt und Müsli und sonstwas Komplizierten, das sie am eigenen Tisch separat verzehrte. Aber ich war nichtsdestotrotz dankbar. Ihr, das gewiß, doch auch dem Herrn, weil er sie mit dem, was ich gerade benötigte, zu mir schickte. Einen großen saftigen Pfirsich, nur für mich allein, wann hatte ich das letzte Mal einen? Aber zu diesem Zeitpunkt überraschte es mich überhaupt nicht, auch wenn ich ausgerechnet an einen Pfirsich gar nicht zu denken gewagt hätte. In zwei Stunden hätte ich welche irgendwo kaufen können, doch jetzt, jetzt waren die Umstände nicht dafür. Trotzdem bekam ich einen, zur richtigen Zeit, am rechten Platz, wie üblich. Der gute Hirte . Er läßt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen. [68] Ich wußte, daß ich mich auf ihn verlassen kann. Nicht nur, weil es so in der Bibel steht, und ein guter Christ daran glauben sollte. Ich habe ja meine eigene Erfahrung machen dürfen. Und trotzdem wurde ich immer schwach und mürrisch, wenn der Magen knurrte und die Ferse pochte. Diesmal aber wurde ich trotz allem nicht ungeduldig, nicht kleinmütig, war mir von Anfang an fröhlich seines Beistandes gewiß. So war ich auch so etwas wie stolz auf mich, es endlich einmal vollbracht zu haben, weil ich in etwa nur zwei Menschen kenne, die so etwas glaubwürdig abziehen können. Nur zwei! Lächelnd saß ich da, bis alle weg waren. Dann ging auch ich.
Für all die vielen Sehenswürdigkeiten von Burgos , die ich wohl nie besichtigen werde, stand ich fünf Minuten an der Treppe zum romantischen Platz vor der Kathedrale, dann versuchte ich es drinnen. Ein Gitter versperrte zwar den Weg, jedoch nicht die Sicht, und zum Beten gab es einen separaten Raum, der sogar zu dieser Morgenstunde von einigen älteren Frauen intensiv genutzt wurde. Ich dachte dabei an meine Oma, bei der wir als Kinder häufig waren, und die sich in der Morgendämmerung, noch bevor wir wach geworden waren, aus dem Haus schlich, um mit dem Herrn Aussprache zu halten, und bat für sie beim Herrn für das Gute, das sie uns gab, und das wir nicht erwidern konnten. In der letzten Zeit fielen mir immer mehr solche Menschen ein. Genauer nachgedacht, war mein Leben geradezu voll von ihnen. So einiges, worauf ich stolz bin, weil ich es mir redlich verdiente, gelang nur deshalb, weil jemand sein Scherflein mit in die Schale legte. Nur eine Kleinigkeit vielleicht, doch eine, welche die Waage zu meinem Gunsten schwenken ließ. Und dort, wo ich mich umsonst abmühte, fehlte vielleicht gerade nur das. Einmal traf ich in Österreich ein älteres Ehepaar, das anders dachte. Sie bräuchten keine Gefallen von anderen, sie hätten genug, und wenn sie was benötigten, würden sie dafür bezahlen. Rechtschaffene Leute waren es, ganz gewiß, aber es sprach der Trotz aus ihnen. Ich betete für sie und für diejenige, die mich unterwegs darum baten. Und war mir danach nicht leichter?
Mein Freund Martin wäre in seiner kulturhistorischen Begeisterung
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