Bis ans Ende der Welt
wohl entsetzt, wie nachlässig ich mit all den Sehenswürdigkeiten umging. Für ihn war diese Stadt ein Inbild der Größe. Immerhin bekommt man auch als Pilger zwangsläufig etwas davon mit, da man zu Fuß durch muß. Aber es ist nicht ganz dasselbe, wie ein Tourist im Park oder im Café zu sitzen und das Schöne zu genießen. Man fließt einfach hindurch. Doch kann man offenbar auch beides haben. Vor einem Luxushotel stand ein Pilgerbus aus Deutschland, gut erkenntlich an der Aufschrift. Hotelbedienstete luden dabei Tonnen von Gepäck ein, während die Gäste unschlüssig abseits standen und darauf warteten, zu dem Ort gebracht zu werden, wo man gut pilgert. Ich passierte sie unauffällig auf der anderen Straßenseite. Bald lag die Stadt hinter mir und es ging durch leere, abgeerntete Felder weiter, ein Dorf alle zehn Kilometer, sonst nichts als Erde, Steine, silberne Strohstoppel und blauer Himmel, nur hie und da ein Pilger, den man einholte. Einer vor mir wickelte gerade einen fetten Burger aus der Silberfolie, die er herzhaft zerknüllte und auf die Erde warf. Ich holte sie, und gab sie ihm zurück. Es war ein kleiner, gedrungener, bäuerlicher Typ, Spanier oder Portugiese, vermutlich hörte er noch nie etwas von einem Abfallkorb. Es gab hier freilich keine Abfallkörbe, man mußte den Abfall einfach weitertragen. Oder einfach hinschmeißen. Es überraschte mich nicht so besonders. Die ganze Iberische Halbinsel war voller Müll. Portugal war am schlimmsten. Dort schmiß man gar alles vor die Füße, Abfall aller Art, draußen wie innen, sogar Zigaretten trat man im Teppichboden aus. Um den Mist hinauskehren zu können, gibt es traditionsgemäß keine Türschwellen. In den Pinienwäldern am Meer markieren Abfallhaufen den Umriß des Tisches, wo man sich mit der Familie zum Picknick traf, alte Windeln, Frauenbinden und andere eklige Dinge verbuddelt man im Strandsand. Es gibt keinen Schnee, nicht viel Regen, der Dreck bleibt lange frisch. Also sah mich der Kerl nur verständnislos an und schmiß die ihm zurückgereichte Alufolie wieder weg. Ich brachte sie ihm noch zweimal, aber er wollte es partout nicht verstehen. Es half auch kein Drohen mit der Faust, sein Herz war verstockt. Also ließ ich ihn stehen. Was ging mich dieses Land an, sollte es ruhig im Zivilisationsdreck versinken.
Später traf ich auf den Düsseldorfer Portugiesen, mit dem zusammen ich dann Hontanas erreichte und eine private Herberge mit Bar und Restaurant bezog. Zu dieser frühen Stunde konnten wir uns noch völlig ungezwungen bewegen, alles organisieren und uns die besten Plätze sichern. Es gab da kleine Zimmer mit nur wenigen Betten. Einst mag es ein kleines Dorfhotel gewesen sein, daß nun ins lukrativere Pilgergeschäft einstieg. Ein Rätsel blieb mir das Präservativ im Nachtkästchen. Eine Aufmerksamkeit des Hauses? Ein Beitrag zur HIV-Prävention? Aber wie sollte es gehen? Immerhin beherbergte das Zimmer mehrere Stockbetten. Getrost der Absicht, keine aufrührerischen Gedanken mehr mit den Preußen zu teilen, verzichtete ich darauf, das Thema öffentlich zu vertiefen. Statt dessen genoß ich den faulen Nachmittag bei gutem Essen und Trinken. Mangels besserer Dinge lernte ich neue Pilger kennen. Es gab etliche Neuzugänge, die gestern frisch per Flugzeug aus Deutschland kamen. Nach einem guten Essen und einer Flasche Wein nur für mich dazu, wurde ich wieder schwatzhaft. Einem erzählte ich von meinem Mineralienmangel und den daraus resultierenden Krämpfen, er wies mich sogleich ab, das müsse wohl etwas anderes sein. Dabei rückte er ein wenig von mir ab, als ob ich etwas Ansteckendes hätte. Da wollte ich wissen, ob er Arzt sei. Er verneinte und verschwand. Ein anderer rümpfte die Nase über meine Vitamintabletten, er esse lieber Obst. Als ob es hier welches gäbe. Ein dritter wunderte sich, warum es schwierig sein sollte, eine Drogerie oder Apotheke zu finden. Auf dem Weg mit dem Taxi vom Flughafen habe er viele gesehen. Das hätte ich auch tun sollen. So eine Reise brauche ja gute Vorbereitung. Diese Leute wußten einfach alles, und was sie nicht wußten, wollten sie auch nicht hören. Der Düsseldorfer Portugiese fand hier endlich gleichwertige Partner, und am nächsten Morgen beeilte er sich, noch vor mir wegzukommen. Er gesellte sich auch nie mehr zu mir, wenn wir uns unterwegs trafen, was noch einige Male passierte. Trost fand ich bei einer zierlichen jungen Japanerin, die ich etwas unglücklich kennenlernte, als ich mich
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