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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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auf den dreckigen, eiskaltem Bodenfließen Yoga und Fußmassage macht. Ich hätte sie gerne warnen wollen, so käme man leicht zu Hämorriden, aber ich widerstand der Versuchung. Es hätte mir nur eine Abfuhr eingebracht. Und was machte eine Kranke mehr denn aus? Die große Zahl der Herbergen im Mittelalter, angeblich mehr als ein Dutzend, ging auch darauf zurück, weil hier, kurz vor dem ersehnten Ziel, viele Pilger bereits zu krank und kaputt waren, um noch über die Berge zu kommen. Den Berichten nach seien hier im Laufe der Zeit auch etliche von ihnen gestorben und ihr Bares der Herbergsbruderschaft vermacht. Von der Terrasse aus konnte ich den Camino vom steinernen Kreuz am Rande der Meseta bis zu der Stelle, wo er im Westen wieder im Gebirge verschwindet, übersehen. Einst pilgerte darauf auch der heilige Franz von Assisi. Es war irgendwann im Jahre 1212 oder 1213, krank schon seit Burgos, wo er einen Monat niederlag, ebenso wie am Ende der Reise in Santiago . Damit war ich mit meinen Beschwerden in guter Gesellschaft. Das Kranksein war hier die Norm und der heiße Tee mit Honig gegen die Erkältung aus der Hand der zwei sympathischen Praktikantinnen die Tradition.
Rabanal del Camino, km 2607
    „Fahrt der Demut“ nannte der heilige Franziskus seine spanische Pilgerschaft. Ich dachte darüber nach, als ich am nächsten Morgen — recht spät wie üblich — die Herberge verließ. Allmählich ging mir ein Licht auf. Alles Miserable, was ich hier in Spanien erlebte, und das war inzwischen ein gescheiter Haufen, lehrte es mich nicht die Demut? Der Weg durch Bayern war eine sanfte, erhebende Freude, der durch die Schweiz zwar eine kaltnasse Plackerei, doch auch Ruhe und Vertiefung, schließlich kam Frankreich mit einem Wasserfall an Gefühlen, daß einem davon im Kopf schwindlig wurde. Spanien aber war die reinste Schmach. Anfangs verstand ich es nicht, rebellierte, schlug um mich und haderte mit dem Herrn. Der mich dann auch meinem Groll überließ und mich nicht mehr tröstete. Kein Wunder. Mit der Demut hatte ich es eben nicht. Ich dachte an meinen Freund Martin und unser Abschiedsgespräch. Ich mußte mich wieder darauf besinnen, warum ich hier bin. Es reichte nicht zu behaupten, ich habe wegen eines vorschnellen Gelübdes nur die Pilgerreise zu absolvieren und hätte das Recht, das Land und die Menschen um mich herum zu verachten. Auch wenn sie mir nicht gefielen, ja sogar dann, wenn ich mit meinen Vorbehalten völlig recht hätte, ich hatte sie in Liebe zu ertragen. Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. [72] Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. [73] Ich tat all das. Ich ereiferte mich, ich prahlte, ich blähte mich auf. Gerade noch ein bißchen, und ich würde platzen. Nein, mir fehlte es nicht nur an Demut, mir fehlte es vor allem an der Liebe.
    Es war eine bittere Erkenntnis, denn ich wähnte mich ja in der Gunst des Herrn. Wäre er sonst vielleicht mit mir mitgelaufen, hätte er mich vielleicht geführt, mich mit allem Nötigen versorgt, mich behütet? Ein guter Freund, auf den ich immer und überall zählen konnte. Er ließ mich nie im Stich, wie banal auch meine Wünsche sein mochten. Es schien ihm gar Spaß zu machen, mit mir zu wandeln. Als ob wir sowieso den gleichen Weg hätten. Und wo war er jetzt? Ich blieb mitten auf dem Weg stehen und sah mich um. Vor mir erhob sich in gigantischen Stufen das Gebirge. Montes de León nannte man es. Berge des Löwen. Von da kam mir die lehmige Piste entgegen und lief weiter talwärts zu den Türmen und Dächern von Astorga und dann wieder hoch die Schlucht bis zum steinernen Wegkreuz von Santo Toribio am Rande der Meseta , wo ich gestern den Herrn traf. Darüber trübte sich der Himmel in schwarzen Schauern. Der Wind stemmte sich umsonst gegen die Wolkenmauer und ließ seine Wut darüber an den Regenponchos der Pilger aus, die lustlos, mit eingezogenem Kopf dahin zogen. Immerhin waren es heute mehr als sonst. Alles sah kalt, weit und desolat aus, genauso wie ich mich fühlte. Sollte ich mich nicht ändern können, so konnte ich genauso gut umkehren, ja gar auf dieser nämlichen Stelle zur Säule erstarren, um anderen als Wegzeichen zu dienen. Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist! Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir! Mach mich wieder froh mit deinem Heil;

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