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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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konnte er doch nicht ernst meinen? Wollte er mich verspotten, fragte ich ihn. Auch bar des Taktgefühls, habe er nichts von Mitleid gehört? Er hätte doch einfach Nein sagen können. Da tat er erstaunt, wie sei ich denn im Leben so grämlich und mißmutig geworden, welches Unglück habe mich denn getroffen und so schlecht gemacht. Schließlich packte er seine australische Helferin, hängte sich bei ihr ein, und sie sangen ein Couplet, dabei die fetten Schenkel hochwerfend und hin und her schunkelnd wie einst die halbnackten Weiber im Moulin-Rouge vor dem verkrüppelten Toulouse-Lautrec. Es war sehr peinlich. Lieber unterließ ich jede weitere Unterhaltung, sei auch nur über das Wetter, bis ich endlich aus der Tür war.
    Das allerdings war ein Sprung ins kalte Wasser. Die Temperatur betrug rund vier Grad, und kaum verließ ich den Schutz der Häuser, trieb schon der Wind den Regen unter den Poncho bis an die Shorts. Oberhalb aber blieb ich trocken, was mit der leichten Langhose, die ich noch besaß, doch nicht anzuziehen wagte, nicht lange der Fall wäre, denn die saugte das Wasser wie ein Schwamm auf. Ich fügte mich dann schnell in diese Lage und machte das Beste von dem schmalen, steinigen Pfad vor mir und der kargen Landschaft um mich herum. Ich war Aibo, der japanische Roboterhund, meine Waden waren aus Stahl, mein Gesicht war ein Kiesel, und die Elemente konnten mich am Buckel kratzen. So überholte ich etliche Pilger, die trödelten, entsetzlich froren und nicht wußten, wie sie den Pilgerstab und den Hut auf einmal halten sollten. Der Wind riß an allem recht wütend herum, so daß darin nicht nur die verkümmerten Büsche, sondern auch einige Schafe bedenklich wankten. Sie taten mir freilich nicht den Gefallen, sich mitreißen zu lassen und die Wiese hinunter ins Tal zu kullern. Dort aber, in einer Häuserruine, die zwischenzeitlich von der saftigen Wiese zurückerobert wurde, grasten friedlich, vor Wind und Wetter geschützt, ein paar Pferde, und für die Schafe wäre dort auch noch Platz gewesen. Ein sehr romantisches Bild, wie von Sir Walter Scott gezeichnet.
    Trotz allem war ich froh, nach der endlosen Meseta wieder in den Bergen zu sein und lobte den Herrn: „Herr, deine Schöpfung ist überall groß, doch deine Berge und deine Küsten, darin hast du dich übertroffen, das könnte niemand besser als du.“ Es kam mit Freude aus vollem Herzen, und es muß ihm wohl gefallen haben, da er nun wieder zu mir kam, mich durch das besonders armselige Dorf Foncebadón begleitete und zum Cruz de Ferro führte. Das ist ein kleines eisernes Kreuz, das auf einem dicken Stab in einem Steinhaufen steckt und sich so ziemlich genau auf dem Kamm des Löwengebirges in etwa sechzehnhundert Meter Höhe befindet. Laut Tradition sollte jeder Pilger von zu Hause einen Stein als Symbol seines größten Kummers mitnehmen und ihn hier auf diesem Steinhaufen zurücklassen. Mit dem Kummer, versteht sich. Deswegen ist der Haufen auch so groß und mächtig, weil jeder von uns ein solches Kreuz durchs Leben tragen muß. Auch die nicht ganz so religiösen RTL-Jünger. Nur daß sie mangels mitgebrachter Steine anderes hinterlassen. Ich fand Schuhe, Socken, Zigarettenschachtel, ja sogar zahlreiche Unterhosen und Büstenhalter an den Mast befestigt. Das gefiel mir freilich nicht besonders. Auch wirkte der Ort im dichten Nebel ein wenig makaber. Und ich war auf so etwas gar nicht vorbereitet, hatte keinen Kummerstein und nichts Überflüssiges, was ich hier hätte zurücklassen können. Von meiner Unterhose gar zu schweigen. Also setzte ich mich auf einen nassen Balken und dachte nach, während der Herr geduldig wartete und alle Störenfriede zurückhielt. Schließlich stand ich auf, ging ein kleines Stück auf dem Weg zurück, hob einen kleinen, doch recht sympathischen und energiereichen Kiesel auf und trug ihn zum Haufen. Während ich ihn noch in der Hand hielt, versuchte ich an das zu denken, was mich denn beugte und grämte, aber es wollte sich nichts konkretisieren. Nur ein nebelhafter, verworrener Gedankenknäuel kam zustande, den ich nicht zu deuten wußte und ihn dann mit dem Kiesel auf den Haufen warf. Mehr konnte ich nicht tun, und ich wußte eigentlich auch nicht, warum ich so etwas tat. Daher sah ich hilfesuchend zum Herrn herüber, der jedoch, offenbar zufrieden, daß ich endlich mit meiner Aufgabe fertig war, ohne Erklärung die zurückgehaltenen Pilger herbei rief. So blieb mir nichts anderes übrig, als weiterzugehen und

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