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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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widerstehen konnte und bat den Türsteher, eine vornehme Gestalt im dunklen Zweireiher, das historische Innere des Luxushotels beschauen zu dürfen. Er gewährte mir freundlich den Dienst, der für ihn ohne Risiko war, da alle Gäste noch schliefen, alles leer stand, und niemand an mir Anstoß nehmen konnte. Und ich nahm mir vor, einmal, in besseren Zeiten, hier als vornehmer Gast einzukehren. Mit diesem leichtfertigen Gedanken im Kopf kam mir der Weg bis zur Weggabelung in La Virgen del Camino gar nicht so weit und fad vor. Hier hatte ich dann die Wahl, wieder die Route durch die Weite der Campos oder den regulären Weg zu nehmen. Seit zwei Tagen überlegte ich schon. Der schwierige, mit Kieseln bestreue Weg bedeutete womöglich, Wanderschuhe statt der bequemen Sandalen anzuziehen, was wiederum der dicke Fußverband nicht erlaubte. Immer noch unentschlossen lungerte ich eine Weile herum, dann wählte ich doch die Autostraße. Der Fußverband war eine gute Ausrede. Andere Pilger schien es trotz voller Herbergen unterwegs nicht zu geben, ich marschierte allein durch das reizlose Land, und große Lastwagen fuhren mit ohrenbetäubendem Krach und großem Gestank an mir vorbei. Da half auch kein Gedanke an die Herrlichkeiten des Parador San Marco mehr. Je weiter man vordrang, um so schäbiger wirkten die Dörfer, fast an jedem zweiten Haus hing ein Verkaufsschild. Se vende. Aber wer mochte hier im Krach und Staub der Schnellstraße ein Haus kaufen? Alles Werte, für die einst mancher das Leben, die Würde, die Seele hergab, sich abstrampelte, die verkamen, wertlos wurden. Auch manche der erst im rezenten Bauboom errichteten Häuser schienen noch — oder schon wieder — leer zu stehen, darunter auch größere Firmen, deren Reklameschilder noch frisch und farbig wirkten. Ich machte am Fuß der geschwungenen Eingangstreppe einer vornehmen Villa Mittagspause. Das Haus war völlig neu und intakt, jedoch war der Rasen von der Sonne verbrannt, die verschlossenen Fensterrolladen staubig und der Garten verwahrlost. Davor erstreckte sich ein großer, schmutziger Fernfahrerparkplatz mit billigen Restaurants, Verkaufsbuden und einem schmierigen Hotel. Die großspurige Villa sollte vermutlich die Residenz des Investors werden, denn wer sonst würde hier bauen. Der Platz wirkte fast leer. Nur zwei Schwerlaster und ein Wagen der Guardia Civil standen einsam vor der Kantine. Hier speiste die Staatsmacht zu Mittag. Ich tat es ihr gleich, aß an der Treppe eine herrliche Dose Sardinen und ein paar Brotreste, die ich mit Wasser hinunterspülte, und machte mich wieder auf den Weg. An diesem häßlichen Ort länger als nötig zu verbleiben, wäre ein Frevel. Und da kam auch die Staatsmacht vergnügt aus der Wirtschaft, bestieg schwungvoll ihr Vehikel und wollte schon auf die Schnellstraße, als sie meine Kleinigkeit bemerkte. So kam sie, eine Drecksfahne hinter sich ziehend, zurück, und schrie mir aus dem Fenster Unverständliches zu, was ich zunächst für einen Gruß hielt und mit einem freundlichen Wink mit dem Pilgerstab quittierte. Der Mann aber brüllte weiter aus dem Fenster, und es wurde offensichtlich, daß damit irgendeine Drohung verbunden war, vielleicht wegen meines Sitzens an der Treppe oder eines anderen, mir unbekannten furchtbaren Deliktes. Da kam der Zorn in mir hoch, wegen der Traurigkeit des Ortes und allen anderen Umständen auch, weil hier doch alles so mies, minderwertig und häßlich war, und ich zeigte dem Büttel den Stinkerfinger und wünschte, er möge doch den Mut haben, zurückzukommen und sich von mir eine Tracht Prügel zu holen. Armes, verfluchtes Land, wo man sich ständig in acht nehmen muß, auch wenn man nichts Böses im Schilde führt. Langsam nagte die ständige Polizeipräsenz an meinem Gemüt. Die meisten davon, denke ich, gab es in Burgos. Mindestens fünf verschiedene Polizeiarten zählte ich, überall zahlreich herumlungernd. Das Land schien geradezu in Angst und Schrecken zu versinken. Vor allem hier, wo es wohl kaum noch was zu stehlen gäbe, stand kaum ein Haus, ohne an Gitter, Zaun und Tür aufwendig vor der Alarmanlage zu warnen.
    Ich fand Trost darin, daß ich die ganze Tagesstrecke in Sandalen laufen konnte, die Wunde nicht schlimmer wurde und die Herberge fast leer war. Es war ein verwilderter Garten dabei, in dem man den Rest des Tages verbummeln konnte. Wäre das Wetter nicht kalt und wechselhaft, wäre es noch besser gewesen, aber nach so langer Zeit ein richtiges, sattes Grün um sich

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