Bis ans Ende der Welt
mit einem willigen Geist rüste mich aus! [74] Es sah nicht so aus, als ob mich der Herr hörte, und zerknirscht und entsetzt, wie ich war, erwartete ich jetzt auch keine Wunder von ihm. Aber es war immerhin ein Anfang.
Ich setzte mich wieder in Bewegung. Auf den Berghängen gab es noch vereinzelt helle Sonnenflecken, die mit dem fast schwarzen Himmel gut kontrastierten und romantischen Träumen freien Lauf ließen. Doch kam die Kaltfront immer näher, und ich hatte genug Berg- und Wettererfahrung, um zu wissen, was sie in einem solchen Gebirge anrichten kann. Der Wind wuchs sich langsam zum mächtigen Sturm auf und war inzwischen so heftig, daß die Windräder an den Bergkämmen abschalten und die Radfahrer von den Drahteseln absteigen mußten. Er kam von der Seite, und man konnte sich richtig dagegen lehnen, ohne gleich hinzufallen. Auch die Temperatur sank weiter rapide. Ich rechnete mir aus, auf jeden Fall noch die erste Etappe von zehn Kilometern zu schaffen, eventuell noch die zweite von gleicher Länge. Mehr würde ich mir an diesem Tag nicht gönnen können. Keineswegs wollte ich mehr als zehn Kilometer im Regen gehen. Die alte Erkältung wurde ich noch nicht ganz los, hier nochmals richtig naß zu werden, hätte auch eine Lungenentzündung bedeuten können. Eigentlich paßte das Wetter zur Landschaft. Eine karge, unfruchtbare Gegend mit eigenartigen Menschen, kleinwüchsig, verschrumpelt, braunhäutig. Angeblich Reste von Mauren und Goten aus dem Frühmittelalter, Maragatos genannt. Ihre Dörfer wirkten mehr als armselig, die gedrungenen Häuser aus grauem Stein schief aufgeschichtet, mit allen möglichen Materialien geflickt und gedeckt, die Fenster wie Löcher klein. Alles mehr oder weniger wahllos hingestellt, mit einer klobigen Straße dazwischen, schmucklos und düster in dem wetterbedingten Halbdunkel. Es hätte genauso gut Tibet sein können.
Und meine Berechnung war richtig, nach zwanzig Kilometern war’s aus. Doch kam ich heute trotz Weg und Wetter recht zügig voran. Die kaputte Zehe machte keine großen Umstände mehr, sah auch sonst recht passabel aus, das heißt, es war kein Fleisch mehr zu sehen, und die Wunde blieb trocken. Die letzte halbe Stunde marschierte ich im Regen, und nun machte ich unter einem mächtigen Baum vor dem Kloster in Rabanal Mittagspause. Die anliegende Herberge war, wie um diese Zeit meist üblich, noch geschlossen. Ab und zu schlich sich ein Pilger vorbei, aber der Platz lag bißchen abseits des Camino, und nur wenige verirrten sich hierher. Niemand wollte hier mit mir verweilen. Der Regen prasselte in die Baumkrone, wusch die braunen Steinmauern ab, und sein Schwager Wind schlug mit den gelben Fensterländen gegen die Mauer. Sonst passierte rein gar nichts. Ich saß auf einem alten, verworfenen Sargstein, kaute recht lustlos am alten Brot und spülte es mit Wasser unter, denn dies war meine wohlverdiente Mittagspause. Nach einer Weile kam sehr energisch ein gelbes Postauto angefahren, und der Bote befestigte die Post an der Tür der Herberge, als auf sein Läuten keiner zu öffnen kam. Im Kloster hatte er mehr Glück und wurde eingelassen. Er blieb eine ganze Weile darin, und als er endlich zurückkam und sich zufrieden hinter das Lenkrad schwang, war ihm anzusehen, daß er einen Aufwärmer mit auf den Weg bekam. Etwas, was seinen Magen wärmte und seine Stimmung hob. Einer, der im Regen unter dem Baum sitzt, an altem Brot kaut und es mit Wasser nachspült, merkt das sofort. Aber ich war nicht neidisch.
Zeit verging und Wasser verrann. Nach wie vor riß der Sturm an der Baumkrone und den gelben Fensterläden. Einmal schlug spitz die Stundenuhr im Gang hinter der Klosterpforte. Der Herr ging um, und alles verschmolz zu einem allumfassenden Strom des Seins. Ich ließ meine Seele ruhig werden und still; wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele still in mir. [75] Dann stürmte ein junger Mann den Platz und erkundigte sich nach dem Postboten. Ich teilte ihm den Sachstand mit, aber er schien nicht ganz zufrieden. Normalerweise hinge der Postbote im Kloster bei einem Glas herum, und heute habe er ihm einen dringenden Brief mitzugeben. Es klang irgendwie vorwurfsvoll, und ich entschuldigte mich für seine Unbill. Hätte ich es auch nur geahnt, ich hätte den Postboten mit Händen und Füßen festgehalten. Er nahm die Entschuldigung ernst an, besah mich prüfend und fragte, ob ich vorhätte, in der Herberge zu übernachten. Er könnte für mich bei dem
Weitere Kostenlose Bücher