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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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alles zu vergessen. Noch einmal drehte ich mich nach dem Kreuz um, doch es war im Nebel kaum noch sichtbar. Lustige kleine Figuren hüpften auf dem Steinhaufen herum und versuchten unter Kamerablitzen Dinge an den Mast zu binden. Aber der Herr blieb nicht stehen, und ich hatte mich zu beeilen, um ihn wieder einzuholen. So kamen wir rasch nach Manjarín, einem verlassenen Dorf, wo sich zu dieser Zeit eine Art religiöser Hausbesetzer einnistete, Seltsames trieb und kitschige Andenken verhökerte. Dazu hingen und standen allerhand Schilder, Flaggen und Spruchbänder herum, welche die Pilger anlocken sollten. Der Herr schickte dann alle hin zu schauen, was es zu sehen gab, und wir konnten in Ruhe und Anstand an dieser Versuchung vorbeiziehen.
    Der Paß war überwunden, vor mir lag Bierzo, ein großes tektonisches Becken, etwa fünfhundert Meter über dem Meeresspiegel, rundherum von bis zu zweitausend Meter hohen Bergen umgeben, mit seiner eigener Art und Sprache. Inzwischen hörte der Regen auf, unten im Tal sollte es an diesem Tag sogar noch warm und sonnig werden. Die Wetterprobe war überstanden, und ich erinnerte mich wieder daran, daß der Herr einem nie mehr auflegt, als man tatsächlich tragen kann. Nun, nachdem der Camino die kleine Asphaltstraße verlassen hatte, ging es auf schmalen, von trockenen Grashalmen, Disteln gesäumten Pfaden talwärts, mit erhabenen Sichten auf Himmel und Erde, mit keinem anderem Laut rundum, als nur der Stimme der Natur. Solche Wege wünschte ich mir aus vollem Herzen. Rundherum kein Mensch zu sehen. Nur die blonde Walküre, die kein Brot brauchte, da die Restaurants ungleich praktischer seien, holte ich auf dem schmalen Grad oberhalb von El Azebo ein. Ihr stiernackige Freund war indes nicht zu sehen. Obwohl sie kein schweres Gepäck trug, hinkte sie erbärmlich. Es war, wie in solchen Fällen üblich, das Knie. Sie konnte es nicht mehr beugen und schob bei jedem Schritt, sich schwer auf den Pilgerstab stützend, das kranke Bein jeweils nur ein paar Zentimeter voran, daß es mir fast schon selbst wehtat. Ich hätte natürlich auch ein paar schnippische Bemerkungen über den wahren Geist des Camino, die Nähe zum Herrn durch das Leiden oder die Vorteile des einfachen Lebens aus dem Rucksack machen können. Statt dessen bot ich ihr Hilfe an, wie auch immer benötigt, hoffte allerdings, sie doch nicht tragen zu müssen. Schließlich war sie ja eine stämmige deutsche Jungfer, die man nicht etwa wie die Sabinerinnen so einfach vom Platz bringt. Es schien sie zu überraschen. Immerhin sind wir ja damals kühl und schweigend auseinandergegangen und haben uns seitdem ignoriert. Also lehnte sie ab. Aber ich dachte an die Sitten der Slawen, die auch erstmals höflich ablehnen, wenn man ihnen etwas anbietet, um nicht unhöflich oder gar gierig zu wirken, und wollte ihr noch eine zweite Chance geben, indem ich vorschlug, doch wenigstens das Knie zu bandagieren und den Rucksack zu übernehmen. Vielleicht war es dann doch zu viel des Guten. Ihre Augen flackerten etwas. Aber sie lehnte wiederum ab. „Tapferes Mädchen,“ dachte ich, als ich weiterging, tröstete mich jedoch damit, daß es ins Dorf nicht allzu weit sein kann. Das war es in der Tat nicht, und ich verbrachte da die Mittagsstunde, während ich mich an der Sonne wärmte und mit dem französischen Trio aus Orleans plauderte. Es war ein kleines, doch nicht ganz unbedeutendes Kaff. Einst im Mittelalter fand hier angeblich ein Kirchenkonzil statt. Die windschiefen, niedrigen Häuser krallten sich in den Steilhang, verbunden nur durch diese eine enge Straße, durch die jeder hindurch mußte. Aber ich sah die junge Frau nicht mehr kommen und machte mir ein bißchen Sorgen um sie.
    Den Weiterweg fand ich später einmal so schön, treffend und poetisch beschrieben, wie ich es selbst nicht besser könnte. Und so hilft nur das Abschreiben: Der Bergrücken war ganz schmal geworden. Von rechts zog sich ein schluchttief eingeschnittenes Tal heran mit einem Band grüner Wiesen im Bachgrunde. Voraus öffnete sich breit das Bierzo. In den Feldern standen Männer und schwarzverhüllte Frauen beim Kornscheiden und Garbenbinden, ließen sich lange Strahlen aus ihren tönernen Krügen in den Mund rinnen, und die Esel, die sie hierhin getragen hatten, sahen hinüber zu ihnen und schrieen. Aus Talfalten, Schluchten quollen und wuchsen die Laubkaskaden quellgrüner Maronenbäume. Es wirkte um so ergreifender, als sich der Weg anschickte, in diese

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