Bis ans Ende der Welt
Schluchten hinabzustürzen. Er drehte, wand sich, glitt an den Abgründen vorbei, stieß manchmal pfeilgrad neben der Tiefe hin, kehrte sich wiederum, führte eine letzte Pirouette auf und war da, war am Ziel, übersprang in äußerster Anstrengung ein Wasser und drang in Molinaseca ein. Ich freute mich sehr über diesen Weiterweg auf engen Pfaden durch steile Schluchten ins Tal. Es wäre beim Regen gewiß kein Vergnügen, nun aber schien die Natur wie ausgewechselt, und mein Herz frohlockte. Zikaden surrten, Vögel zwitscherten, Frieden und Harmonie herrschten rundum. Ich sprang geschwind wie eine Gemse vom Stein zu Stein und wies dem Herrn die schönen Details am Wegrand, bis er am Ortseingang von Molinaseca zurückblieb. Trubel und Ablenkungen mochte er nicht.
Als ersten Menschen sah ich dann das kürzlich noch lahme Fräulein, nun frisch geduscht, fröhlich und kaum noch hinkend mit ihrem Freund auf der anderen Straßenseite entgegen kommen. Offenbar hat er sich inzwischen motorisiert und sie aus der mißlichen Lage befreit. Oder sie konnte fliegen. Jedenfalls benötigte sie meine schwache, zögerliche Hilfe nicht, und ich sorgte mich völlig umsonst. Besser als umgekehrt, fand ich, und nistete mich gutgelaunt in einem nagelneuen privaten Albergue ein. Mir gefiel die schöne Terrasse. Hier konnte man bei einem Gläschen Wein den Rest des Tages in aller Ruhe genießen. Das bißchen Ambiente schien das „bessere” Publikum anzuziehen. Ältere, erfolgsgewöhnte Herrschaften, meist aus Österreich und der Schweiz, die den Jakobsweg etappenweise passierten. Sie hatten ihre eigenen Sitten und Gewohnheiten. Am Nebentisch saß eine ältere distinguierte Dame, trank einen Proseco und rauchte genüßlich eklig stinkende spanische Stumpen. Es war schon zu lange her, daß ich selbst rauchte, um das Aroma noch zu schätzen. Unauffällig wechselte ich einige Male den Tisch, um dem Gestank zu entkommen. Dafür erlauschte ich die Berufsgeschichte eines ehemaligen Managers aus der Autoindustrie. Der Mann verbrachte seine Karriere im internationalen Handel, nun mußte er trotz bester Verkaufserfolge einem Jüngeren den Platz räumen. Er schien noch nichts davon gehört zu haben, daß bei den Konzernen der Mensch nach seinem Preis und nicht etwa nach seinen Fähigkeiten gehandelt wird, und meinte, die Firma habe sich selbst geschadet. Zwischenzeitlich jedoch habe er allerdings eine eigene Vertriebsfirma gegründet, fahre jährlich hunderttausend Kilometer, das freilich in einem ordentlichen Mercedes und so fort. Und seine Zuhörer lauschten aufmerksam, weil sie Tüchtigkeit schätzten und ähnlich dachten. Ich hätte gerne mehr über die Motivation dieser Leute, den Camino zu gehen, erfahren, hielt mich jedoch in allem zurück. Es reichte, daß ich den Pöbel gegen mich hatte, ich mußte nicht auch noch die Geldsäcke reizen. Ich verbiß mir sogar den Kommentar zu dem recht blamablen Abendessen. Niemand klagte, man stand darüber. Wir schieden am nächsten Morgen in Frieden und sahen uns nie wieder.
Cacabelos, km 2755
Unterwegs auf dem Camino passiert man nicht alle Tage eine Stadt, die solche Bezeichnung verdienen würde. Insofern war Ponferrada, das Wirtschafts- und Verwaltungszentrum des Bierzo, so etwas wie ein Ereignis, dem man mit Spannung entgegensieht. Die Hauptattraktion ist eine phantastische Templerburg aus dem 12./13. Jahrhundert, welche einst die Brücke über dem Fluß Sil bewachen sollte. Die reichen, mächtigen Templer wurden ja bekanntlich im Jahre 1307 auf Betreiben des französischen Königs Philipp IV. und des Papstes Clemens V. geplündert und vernichtet, was heutzutage dementsprechend literarisch ausgeschmückt wird. Was wiederum viele Touristen in die Stadt bringt. Es gibt hier noch so einiges Historisches aus dem 11. und 17. Jahrhundert, doch darüber hinaus ist der Ort recht weit industrialisiert, modernisiert und dementsprechend fade. Ich hielt mich hier nicht auf, nur Kirchen besuchte ich im Vorbeigehen, wenn sie offen waren, und kaufte ein paar Kleinigkeiten ein. Zügig passierte ich so die Stadt und trat wieder ins Freie. Es ging auf kleinen Asphaltstraßen durch ländliche Vororte im Grünen, ein blauer Himmel mit weißen Wolken hing darüber. Es war angenehm warm, und die Felder und Gärten rundherum waren voll reifer Früchte. Etliche Pilger waren unterwegs, und ich schloß mich drei Mädchen aus Tasmanien an. Die Insel am Südende von Australien, ist die Heimat des tasmanischen Teufels, und wir
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