Bis ans Ende der Welt
Pilgerfahrt, die ich mir auflud, aber wir alle taten unser Bestes. Auch der Herr muß es so gesehen haben, denn er blieb noch bei den Senioren, während ich mich auf den Abstieg hinunter ins Tal machte. Unten, wo die Luft vor Hitze flimmerte, traf ich Armin, den Italo-Australier mit seiner spanischen Freundin. Die Freundin war neu, aber sie paßte zu ihm. Beide waren sie fix und fertig, was Armin damit kompensierte, daß er lustige Geschichten über die katastrophalen spanischen Verhältnisse erzählte. Ich legte das Meinige dazu, und wir hatten eine lustige Zeit. Auch als er sich über meine Bemerkung damals in Roncesvalles beschwerte, der Name des französischen Präsidenten Sarkozy, so wie er in Westeuropa ausgesprochen würde, bedeute durch den Lautwechsel von „Sch“ zu „S“ im Ungarischen „im Scheißhaufen sitzen“. Er habe, so Armin, einen Polen gefragt, und der hätte es nicht bestätigen können. Einen Polen!? Es war immer zum Schießen mit Armin. Aber er hatte auch eine ernste, nachdenkliche Seite. Als wir am Abend beim Wein saßen, meinte er, ich weiche anderen Menschen aus, schaue ihnen nicht in die Augen. Es überraschte mich, weil es zutraf. Oder zumindest teilweise. Hier in Spanien mochte ich zwar gute Gründe dazu haben, doch tat ich es auch sonst, lebte eben in einer eigenen Welt, zu der andere den Eingang nicht immer fanden. Zur Ablenkung erzählte ich Armin, wie ich in der heißen kastilischen Ebene den Körper weitermarschieren ließ, während mein Geist am schattigen Waldrand saß und den Vögeln zuhörte. Aber ich erzählte ihm lieber nicht vom Herrn, wie er mitgeht. Ich wollte ihn nicht beunruhigen. Alles in allem, es war heute ein guter Tag. Trotz der übervollen Herberge, trotz der fremden Menschen, zu denen ich den Kontakt nicht fand und inzwischen auch gar nicht suchte, die mir da nicht einmal glauben wollten, daß ich den ganzen Weg zu Fuß gelaufen bin, weil sie sich so etwas gar nicht vorstellen konnten, und weil es hier auch sonst lauter Schwätzer und Angeber gab. Ich hatte das Gefühl, sie durch die bloße Existenz zu reizen. Die Mauer zwischen uns wuchs, und dahinter wurde es immer stiller. Es wurde immer stiller in mir.
Triacastela, km 2817
Eine andere Mauer erwartete mich am nächsten Tag, ein neues Gebirge nämlich, welches das Bierzo, noch zu Kastilien-Leon gehörig, von Galicien trennt. Zwei Pässe um die dreizehnhundert Meter waren zu bewältigen, Alto do Poio und San Roque. Da lag die Landesgrenze. Der Höhenunterschied betrug etwa achthundert Meter. Die teilweise recht struppige Natur erinnerte hier viel eher an die Schwäbische Alb als an das „sonnige Spanien“. Davon war nun keine Spur mehr übrig. Die grünen Berge schienen mir dünn besiedelt, schon immer einsam und heute vielleicht noch einsamer geworden durch die Autobahn, die auf hohen Stelzen über dem Tal schwebt, ein Ungetüm in Siebenmeilenstiefeln auf dem Weg nach Compostela. Die alte Landstraße darunter blieb den Einheimischen und den Pilgern erhalten. Doch wie früher, als es hier noch viel mehr Verkehr gab, läuft man auch heute auf dem schmalen, krumm ausgetretenen Pfad neben der Fahrbahn. Bald ging es dann wieder abseits der Straße durch Wiesen und Wäldchen auf kleinen Wegen hoch zum ersten Paß, vorläufig noch immer dem Flüßchen Valcarce folgend. Ich freute mich schon darauf, da oben Mittagspause machen zu dürfen. Die Landschaft bot laufend schöne Sichten, und ich wollte mir in aller Ruhe den Anblick auf die Seele brennen lassen. Eine Zäsur vollzog sich in der Natur und auch in mir. Die wollte ich erahnen und ertasten. Doch plant und werkelt der Mensch umsonst. Als ich oben am Paß ankam, der wider Erwarten nicht eng, kahl und steinig war, sondern statt dessen eine Art Almwiese mit Waldrand, tobte da ein Volksfest mit Jahrmarkt, zu dem Tausende Besucher angereist kamen. Natürlich im Auto. Der ganze Schrotthaufen parkte gut bewacht auf der Wiese, und die fröhlichen Insassen strömten in Massen zu der improvisierten Budenstadt, wo tausend Sachen und Fressalien feilgeboten wurden. Auch Bier und Wein flossen, wie bei solchen Anlässen allgemein üblich, im reichen Maße. Freilich hätte ich mir hier endlich eine feste Hose kaufen können, doch machte es mich nervös. Ich war einfach so viel Rummel nicht gewöhnt. Ständig hatte ich jemanden auszuweichen, manche der Kerle, wohl schon angetrunken, fanden es gar lustig, mir den Weg zu verstellen und mich zurückzuhalten. Ich hatte nur den
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