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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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völlig. Da meine letzte noch verbleibende Hose einen neuen auffälligen Riß bekam, der nicht mehr zu ignorieren war und freie Sicht auf meinen Hintern bot, meinte sie, sie könnte gegebenenfalls das Loch vernähen, werde es aber nicht tun. Was denn, warum denn, und habe ich sie darum gebeten? Ich müßte zuvor die Hose waschen, war die Begründung. Die saubere, erst gestern gewaschene Hose? Was sollte das? Wenn sie es nicht tun wollte, warum sprach sie dann überhaupt davon? Es gäbe wohl kulturell bedingte Unterschiede zu den Antipoden, spekulierte ich und nahm mir vor, das nächste Mal, wenn ich zuhause mit Auto unterwegs wider einen australischen Anhalter sehen sollte, ihm zu erklären, ich könnte ihn mitnehmen, werde es jedoch nicht tun, da er seine Hose nicht gewaschen hat. Soll er statt dessen doch Kuchen essen!
Vega de Valcarce, km 2782
    So kam es, daß ich am nächsten Tag den Weg wieder allein fortsetzte, zumal die Mädchen nochmals den Bus nahmen und ich den Alternativpfad durch die Berge. In dem engen Tal führte der Camino nämlich direkt neben der vielbefahrenen Asphaltstraße und der Autobahn. Aus meiner Sicht war das ein Frevel, den ich mir nicht antun wollte. Zuerst aber kam nach etwa acht Kilometer die Stadt Villafranca del Bierzo, gerade richtig, um hier eine vorgeschobene Mittagspause einzulegen. Gemessen an den uralten Zivilisationsresten rundum eine noch junge Stadt — das meiste Sehenswerte stammt aus dem 16./17. Jahrhundert, auch die Burgruine. Die Sonne schien warm und fröhlich, es war angenehm frisch. So ließ ich es mir gutgehen, indem ich herumschlenderte, auf den Bänken ruhte und die Menschen um mich herum beobachtete. Mit ein paar von ihnen führte ich kleine, gute Gespräche. Die Poesie kehrte zurück zu mir, und ich fühlte, wie alles stimmt. Die Welt hatte kaum einen Fehler, der Herr schwebte über dem Tal und spendete Frieden. Es war der erste spanische Ort, an dem ich nichts auszusetzen hatte. Einst wurde hier den unterwegs erkrankten Pilgern vorzeitig der Sündenablaß gewährt, weshalb der Ort auch „das kleine Compostela“ genannt wird. Eine Perle des Camino. Ich hätte hier länger verweilen mögen, verlor aber nicht das Ziel aus den Augen. Ob ich wollte oder nicht wollte, ich hatte weiter zu fließen. Mit einer gewissen Wehmut passierte ich über eine schmale Brücke das Flüßchen Burbia und stieg steil durch winzige Hausweinberge höher und höher aus dem Tal. Das war der Camino Duro , der harte Weg, aber mir machte es nichts aus. Wichtig war mir, daß es hier kein Verkehr, keine lästigen Mitmenschen gab. Doch auch unten im Tal, worauf ich zeitweilig gute Sicht hatte, tat sich nicht viel. Der eine oder andere Pilger war dort gelegentlich zu erblicken, ab und zu fuhr ein Auto, ansonsten lag alles leer und friedlich. Der Hang, auf dem ich hochstieg, zeigte Reste einer Bewaldung, aber offensichtlich sabotierten Brandstifter alle solchen Versuche, sobald die Bäume etwas größer wurden. Wie ich hörte, waren es Schafs- und Ziegenhirte, die auf den kahlen Bergen ihre Herden weideten und sich das Geschäft durch hochsprießende Wälder nicht kaputtmachen lassen wollten. Welche Kurzsichtigkeit! Aber es atmete sich frei hier, die Sicht auf den blaßblauen Himmel und die hellgrünen Hänge rund herum war grandios. Alle Müdigkeit und Krankheit waren wie weggewischt. Der Herr ging wieder mit, freute sich mit mir über sein Werk, bis er plötzlich abhob und übermütig durch die Schluchten sauste, mit ein paar Loopings hoch am Himmel zum Abschluß. Am Ende trottete er wieder brav mit und kickte übermütig graugelbe Kalksteinsplitter vom Wegrand ins Tal hinunter. So ging es gute zehn Kilometer weiter, bis der Weg einer Ortschaft wieder näher kam, und ich in einem geheimnisvoll romantischen Eßkastanienwald eine Truppe englischer Pilgersenioren samt zwei Begleitfahrzeugen und einer richtigen Feldküche antraf. Sie luden mich zwar nicht zu ihrem Festessen ein, ja sie nahmen nicht einmal Notiz von mir, aber das Personal spendierte mir ohne Zögern gutes, frisches Wasser, wieviel ich bis zum Abend eben noch brauchte. Ohne Bäume blieb in den Bergen kein Wasser im Boden zurück, und es gab da keinerlei Bäche oder Quellen, um den Durst stillen zu können. Man trank eben nur das, was man mit sich trug. Ich rastete ein paar Minuten in der Nähe der englischen Reisegesellschaft und beobachtete die Scheinpilger bei ihrem Treiben. Ihre war zwar nicht dieselbe verzehrende, unbarmherzige

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