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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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hatten eine recht lustige Zeit, als die Mädchen erzählten, wie sie überall mit den Tassie devils aufgezogen werden. Schließlich waren die aufmüpfigen Viecher durch eine lustige australische Zeichentrickfilmserie ziemlich überall bekannt. Als Gegenleistung brachte ich das schamvolle Verhalten der spanischen Hunde ein, was zunächst als Jägerlatein abgetan wurde. Ein Crocodile-Dandy auf Spanisch? Nein. Gleich der erste Köter, den wir sahen, verzichtete aufs Bellen, Knurren und Fellsträuben und lief davon. An den nächsten pirschten wir uns heran, um ihn zu überraschen. Des Auswegs beraubt, stellte er sich mit der Schnauze zur Mauer und tat so, als ob er uns nicht sehen würde. Ließ sich dabei sogar mit dem Pilgerstab kitzeln. Schließlich, als wir in einem Hof Rast machten, kam einer am Gehsteig vorbeigelaufen. Er lief an der ersten Lücke der verfallenen Mauer vorbei, sah zu uns rüber, lief weiter – und kam nicht mehr an der nächsten Mauerlücke an. Wo blieb er denn? Die Mädchen gingen nachsehen und fanden ihn hinter der Mauer wartend. Er wartete und wartete, bis wir weitergingen. Blöder Hund, wir hätten ihn bestimmt nicht gegessen. Wir zogen Vegetarisches vor und befreiten die anliegenden Grundstücke vom überflüssigen Obst und Gemüse. Schließlich ist die erste Pflicht des Pilgers, immer und überall soviel Nahrung wie möglich aufzunehmen, um den Weg endlos fortsetzen zu können. Wie die Heuschrecke. Kluge Einheimische pflanzen deshalb ihre Gärten etwas abseits des Camino. Ich gab da stets mein Bestes, vertilgte alles, was mir unterwegs in die Finger geriet, und verlor bis dahin trotzdem etwa vier Kilo Körperfett. Vielleicht half das geklaute Grünzeug auch gegen meinen Mineralienmangel. Doch hatte ich ihn inzwischen mit Hilfe der Nahrungsergänzung für Profisportler soweit im Griff, daß die Krämpfe nicht schlimmer wurden. Zumindest mußte ich nicht jedes Mal das Eßbesteck mit Hilfe der anderen Hand aus den steifen Fingern hebeln. Das hinterließ vor allem bei den Piefkes einen unvorteilhaften Eindruck, weil sie sich vor ansteckenden Krankheiten fürchten.
    So gelangten wir relativ spät am Nachmittag nach Cacabelos zu einer originellen Herberge. Es war eine Art Zigeunerlager, bestehend aus kleinen Holzbuden rund um den Kirchhof. Sie sahen recht malerisch aus, doch gab es innen keinerlei Einrichtung außer eines winzigen Regals und zwei niedriger Brettgestelle. Der Abstand dazwischen betrug nicht viel. Man mußte aufpassen, daß man nicht wild träumte und im Schlaf etwa um sich schlug. Einen Aufenthaltsraum gab es nicht, auch keine normalen Sitzmöbel, man konnte aber auf dem überdachten Holzsteg die Beine ausstrecken. Laut Führer hausten in diesem „besonderen Luxus“ siebzig Pilger, mir kamen es aber mehr vor. Vielleicht deshalb, weil es wie üblich zu wenig Duschen und Toiletten gab. So etwas wie eine Intimsphäre existierte nicht, dafür trennte man zwecks Einhaltung der Moral die Schläfer nach Geschlecht. So konnte ich nicht bei den tasmanischen Teufeln bleiben und wurde einem fremden Schnarcher als Mitschläfer zugeteilt. Es war ein deutscher Lehrer in den Vierzigern, ziemlich zugeknöpft. Er taxierte mich kurz, dann ignorierte er mich. Soweit es eben auf so engem Raum möglich war. Ich paßte offenbar in keine gute Schublade seines Schreibtisches. Das aber war ich inzwischen gewohnt. Gesehen habe ich ihn bis dahin noch nicht. Man traf jetzt täglich neue Fremde. Santiago war ja nicht mehr weit. Entweder kamen sie frisch vom Flugplatz, oder sie kürzten wie meine tasmanischen Bekannten mit dem Bus ab. Die meisten trugen das Ticket mit dem genauen Rückflugdatum darauf schon in der Tasche. Ein müder Haufen, der unbedingt nach Compostela wollte, weil es gerade in war. Es wäre wohl sinnlos, ihnen erklären zu wollen, daß man in Deutschland oder Österreich viel besser wandern könnte. Also trödelte ich nicht herum, wusch meine Sachen, machte mich fein und ging mit den Mädchen in ein Restaurant essen. Nur essen. Wein wollten sie nicht trinken, auch dann nicht, wenn er wie hier automatisch zum Menü gehörte. Abstinente Australier, wo gibt es so etwas? Und hatte nicht Churchill gesagt, man solle keinem trauen, der nicht trinken würde? Ach was, lobte ich ihre Selbstdisziplin und trank mit Vergnügen den ganzen Wein allein. Das waren für vier Leute gleich zwei ganze Flaschen, aber das Opfer wurde mir überhaupt nicht zu schwer. Dann aber überraschte mich eine der jungen Damen

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